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2005

Comic-Land Schweiz

Eine Ausstellung der Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia


© Pro Helvetia


Nach erfolgreichen Präsentationen in Wien, Graz und Villach war die Ausstellung „Comic-Land Schweiz“ vom 4. bis 30. Mai 2007 im Landeskulturzentrum Ursulinenhof zu sehen. Sie zeigte die Geschichte und Gegenwart der vielfältigen Schweizer Comic-Kultur und lud zu einer spannenden Entdeckungsreise in die faszinierende Welt der Bilder und Geschichten ein. Die Ausstellungsarchitektur in Form einer eigens geschaffenen Landschaft aus Kartonbergen stammte vom Schweizer Architekten Michael Salvi.
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Die Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia präsentiert, anhand von 42 Tafeln und einer Internet-Dokumentation, die Ausstellung «Comic-Land Schweiz». Die Ausstellung ist auf mehreren CD-ROM gespeichert und kann von Ausstellern weltweit an Ort und Stelle auf Tafeln ausgedruckt werden. Die Ausstellung zeigt Geschichte und Gegenwart der Schweizer Comic-Kultur und richtet sich an ein breites Publikum wie an ein Fachpublikum. «Comic-Land Schweiz» lädt ein auf eine spannende Entdeckungsreise in eine faszinierende Welt der Bilder und Geschichten. «Comic-Land Schweiz» will einen Einblick geben in Geschichte und Gegenwart des Comic-Schaffens eines zwar kleinen Landes, das aber eine reiche und vielfältige Comic-Szene kennt. Einzelnen Künstlern ist es gelungen, seit den 1970er-Jahren in der internationalen Comic-Welt bekannt und erfolgreich zu werden.

Historisch beginnt der Bogen beim Genfer Rodolphe Töpffer, der in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts den Comic «erfindet». Der Bogen endet gegen Ende des 20. Jahrhunderts bei jenen jüngeren Comic- Schaffenden, die in den beiden Schweizer Zentren Genf und Zürich in eigenen Magazinen und Editionen in persönlichen Zugängen zum Medium Neues erproben und künstlerische Experimente wagen.

24 Tafeln bilden das Herzstück der Ausstellung: Cosey, Matthias Gnehm, Mix & Remix, Noyau, Thomas Ott, Frederik Peeters, Nadia Raviscioni, Helge Reumann, Anna Sommer, Tom Tirabosco, Wazem und Zep stehen beispielhaft für das aktuelle Schweizer Comic-Schaffen. Die Ausstellung stellt diese repräsentative Auswahl in Porträts vor. Dazu haben alle zwölf exklusiv für «Comic-Land Schweiz» auf einer Seite eine abgeschlossene textlose Geschichte zum Thema «Zeit» gestaltet.

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Immer wieder ist die Schweiz dankbares Objekt für zahlreiche Klischees (Berge, Banken, Heidi, Wilhelm Tell usw.). Im Ausstellungsteil «Typisch Schweiz» ist eine Auswahl von Bildern versammelt, die sich internationale Comic-Zeichner von der Schweiz machen. Gerne halten sich auch Comic-Helden aus aller Welt in der Schweiz auf.

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Zwei Tafeln zeigen in einem «Making of» die verschiedenen Herstellungsphasen des Comic «Zwischenfall», an dem der Deutschweizer Melk Thalmann im Alleingang arbeitet: Im Gegensatz zur arbeitsteiligen Produktion zeichnet er für alle Phasen – von der Storyentwicklung über das Reinzeichnen bis zum Kolorieren am Bildschirm – selbst verantwortlich. In «Zwischenfall» mischt er Fakten aus der jüngeren Schweizer Geschichte mit Fiktion. Eine Tonbildschau von rund 10 Minuten Dauer zeigt ebenfalls die Herstellung des Comic «Zwischenfall» in zum Teil animierten Sequenzen. Wie die Ausstellungstafeln ist auch die Tonbildschau in acht Sprachen produziert worden. Ergänzende Informationen, Website.

Spezielle Seiten der Homepage von Pro Helvetia sind ganz der Ausstellung gewidmet (http://www.pro-helvetia.ch/expo). Diese Seiten bilden einen eigentlichen Multimedia-Katalog und ersetzen den herkömmlichen Aus­stellungskatalog. Die Seite enthält die Ausstellungstexte – eine Einleitung (allgemeiner Text), Kleine Schweizer Comic-Geschichte; Von der Literatur zum Comic; Disneys «Micky Maus» in der Schweiz; «Schweiz-Bilder im Comic» – und zeigt eine repräsentative Auswahl der Ausstellungstafeln. Zusätzlich zeigt die Website einen Auszug aus der Tonbildschau, die sich der Herstellung des Comic «Zwischenfall» widmet.

Die Informationen auf der Website werden ergänzt durch eine ausführliche Bibliografie wie durch eine Link-Liste; deren Websites zur Schweizer Comic-Kultur erlauben eine Vertiefung des Wissens rund um die Schweizer Comic-Kultur.

Kleine Schweizer Comic-Geschichte

Praktisch und theoretisch erfindet der Genfer Rodolphe Töpffer (1799–1846) die Comics. Von Beruf Lehrer und Pensionatsleiter in Genf, schreibt und zeichnet er nebenbei. Unter dem Einfluss französischer und englischer politischer Karikaturisten zeichnet Töpffer 1827 seine erste Geschichte mit dem Titel «Histoire de Monsieur Vieux Bois». 1833 erscheint «Monsieur Jabot», das erste von insgesamt sieben gedruckten Alben. Töpffer führt in seinen humoristisch-fantastischen «Romanen in Bildern» («histoires en estampes») als Erster vor, was die späteren Comics ausmachen wird: die Verknüpfung von Bild und Text zu einem erzählerischen Ganzen. Töpffer darf als «Gründervater» der Comics gelten. 1845 formuliert er in seinem «Essai de Physiognomonie» (Essay zur Physiognomie) die Umrisse des Erzählens in Bildern und Texten. Damit definiert er auch theoretisch das neue Medium Comic. In seinem «Essai» schreibt Töpffer: «Man kann Geschichten schreiben in Kapiteln, Zeilen, Wörtern: das ist Literatur im eigentlichen Sinn. Man kann Geschichten schreiben in Folgen graphisch dargestellter Szenen: das ist Literatur in Bildern.»

Werbefiguren als Comic-Erfolge

Ein gutes Jahrhundert vergeht, bis im eigentlichen Bereich des Comicmit Globi ein erster original schweizerischer Beitrag an die Öffentlichkeit tritt. 1932 wird Globi als Werbefigur zum 25-Jahr- Jubiläum des Warenhauses Globus kreiert.


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Ein Jahr später entsteht eine erste Bildergeschichte mit Globi. Er wird schnell zum Erfolgsphänomen und erfreut sich vor allem bei den Kindern enormer Beliebtheit. Konzipiert wird «Globi» vom Globus-Werbechef J. K. Schiele (1902–1988). Robert Lips (1912–1975) zeichnet bis 1966 den Vogelmenschen. Seit 1935 erscheint (bis heute) jährlich ein neues «Globi»-Buch. Ab 1938 werden die anfänglich wortlosen «Globi»-Geschichten mit gereimten Versen versehen. 1948 erreicht «Globi» die erste Million verkaufter Bücher. Über all die Jahre hat sich Globi kontinuierlich verändert. An diesem langlebigsten Schweizer Comic lässt sich so auch eine eigentliche Mentalitätsgeschichte der Schweiz ablesen.

1948 wird vom Verlagshaus Ringier «Ringgi und Zofi» ins Leben gerufen.Die ersten Abenteuer zeichnet Hugo Laubi (1888–1959) zu gereimten Texten von Fridolin Tschudi (1912–1966). Auch dieser Kinder-Comic geht auf eine Werbeidee zurück, wie eine Reihe anderer, die aber nie die Nachhaltigkeit von «Globi» erreichen. Auf Anregung der Stiftung für die Jugend (Pro Juventute) entsteht 1955 «Papa Moll». Dieser Comic ohne Sprechblasen soll «pädagogisch wertvoll» sein, die Familienwerte preisen und «eine positive Lebenseinstellung» vermitteln. Edith Oppenheim-Jonas (1907–2001) zeichnet die tragikomischen Erlebnisse und Slapstick-Situationen von Papa Moll und seiner Schweizer Durchschnittsfamilie. Nach ihrem Tod wird «Papa Moll» von einer neuen Zeichnergeneration fortgesetzt.

Realistische Schauplätze

Nach den 1930er-Jahren (mit der Geburt von Globi) kennt die Schweiz für mehr als zwei Jahrzehnte praktisch keine eigene Comic-Produktion. Erst in den 1960er-Jahren regen sich im Einflussbereich des franco-belgischen Marktes (West-)Schweizer Comic-Kreateure. Der Westschweizer Derib (Claude de Ribaupierre, *1944) ist der erste Schweizer Comic-Zeichner, der es zu internationalem Erfolg bringt. Ausgebildet in den belgischen Studios von Peyo («Die Schlümpfe»), findet Derib zu einem eigenen, realistisch-präzisen Strich. Sein Werk stellt den «Wilden Westen» ins Zentrum und kreist um die Themen «Natur – Landschaft –Mensch». Für das kleine Lesepublikum kreiert er zusammen mit dem Texter Job (André Jobin, *1927) Anfang der 1970er-Jahre die Serie um den Indianerjungen Yakari. Ganz realistisch zeichnet er als Familiensaga die Welt des Trappers Buddy Longway in der gleichnamigen Serie. Deribs Markenzeichen sind äusserst dynamische Seiten, die gezeichnete Szenen in «filmischer» Montagetechnik raffiniert miteinander verbinden.


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Deribs Schüler Cosey (Bernard Cosendai, *1950) folgt stilistisch seinem Lehrer in der Behandlung der Seite als ein Ganzes, findet aber zu einem eigenen, persönlichen Ausdruck. In seiner Serie «Jonathan» (ab 1975) geht es, durchaus autobiografisch, in ferne Länder Asiens. Ebenfalls ostwärts reist die Schweizer Serienfigur Stéphane von Daniel Ceppi (*1951). Wie bei Cosey kennt Ceppi die Schauplätze seiner Comic- Geschichten aus eigener Anschauung; auch er stützt sich stark auf die Dokumentation. Die jeweiligen Handlungsorte in «Stéphane» (ab 1978) bieten dem Autor und Zeichner Gelegenheit, comic-journalistisch aktuelle politische und soziale Bezüge zu schaffen. Magische Motive und exotische Schauplätze sind Merkmale der frühen Comic-Kunst von Ab’Aigre (Pascal Habegger, *1949). Der Pinselstrich seiner Geschichten ist locker, «schnell», spontan, kräftig. Es ist ein nicht-naturalistischer, abstrahierender Stil, ausdrucksstark und originell. Damit stellt sich Ab’Aigre in die Traditionslinie von Meistern des expressiven Schwarzweiss-Comic. Véronik (Véronique Frossard, *1957) ist eine der ersten und wenigen Schweizer Comic-Frauen, die professionell arbeiten.


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1988 gestaltet Véronik mit «Lou Strass. Only You» einen der ersten Comics zum Thema Aids. In verschiedenen gestalterischen Bereichen (Grafik, Design, Animationsfilm, Theater, Malerei) ist Gérald Poussin (*1946) zu Hause. Anarchisch, fantastisch, wild und bunt zeigt sich Poussins Bilder-Universum. Seine Comics mit den Figuren Buddy und Flappo sind unverwechselbarer Ausdruck eines ungezügelt-komischen Zeichnens, das sich an der Ästhetik des kunstvoll Kindlich-Naiven orientiert. Einer, der wie sein Geistesverwandter Poussin in der Zeit des politischkulturellen Aufbruchs der 1970er-Jahre neue Ausdrucksformen erprobt und sich in.

Comics in Zeitungen und Zeitschriften

Der Zürcher René (René Lehner, *1955) ist der allererste professionelle Comic-Zeichner der Deutschschweiz. Frühe humoristische Comics publiziert er Ende der 1970er-Jahre. Mit Bill Body kreiert René 1987 eine komische Figur aus der Welt des Sports. «Bill Body» wird als Strip international vertrieben und findet ein Millionenpublikum. 1997 wird die Comic-Welt von «Zürich by Mike» ins Leben gerufen. Im Wochentakt im «Züritipp» vorabgedruckt, entwickeln sich die gesammelten Einseiter von Mike van Audenhove (*1957, USA) in Album-Form regelmässig und schnell zu Deutschschweizer Comic-Bestsellern. Er lässt seine «Helden» turbulente bis besinnliche, aber immer äusserst pointierte und witzige Alltagsabenteuer erleben. Alex Macartney (*1963, GB) arbeitet als Comic-Zeichner für Zeitungen und Zeitschriften und publiziert seine Arbeiten als Sammelbände. Seit 1995 gibt es von ihm «Herr Hummel», Strips mit einem wahren Antihelden.

Felix Schaad (*1961, Zeichnungen) und Claude Jaermann (*1958, Texte) liefern ab Mitte der 1990er-Jahre die bösen Alltagssatiren um den ziemlich konservativen, typisch schweizerischen Kleinbürger Herrn Zwicky. Grossen Anklang findet das Meisterstück der beiden: «EVA» berichtet im «Tages-Anzeiger» seit 2001 täglich aus der Arbeitswelt der «working poor» Eva Grdjic, die an der Supermarkt-Kasse tätig ist. Dieser Strip schafft es, aktuell Soziales und Politisches, den Wahnsinn des Alltags auf den komischen Punkt zu bringen.

Ein technischer Pionier aus der Westschweiz ist Christophe Bertschy (*1970): Er gestaltet seine Comics ab 2000 vollständig digital und hat mit seinen Computer-Arbeiten einen eigenständigen Stil geschaffen. In der Strip-Serie «Nelson» treibt das gleichnamige orangefarbige Teufelchen täglich in «Le Matin» seine Spässe. Der Genfer Buche (Eric Buchschacher, *1965) zeichnet seit den 1990er-Jahren realistisch in seiner Abenteuer-Serie «Vincent Muraz» (Szenario: Georges Pop). Buche pflegt mit Erfolg ebenso den Funny-Stil: Im Comic-Magazin «Tchô!» erscheinen die irren Gags mit Franky Snow.

Auf dem internationalen Markt

Enrico Marini (*1969) hat es als einer der wenigen Deutschschweizer geschafft, für das Ausland zu arbeiten. Marini zeichnet nach Szenarien verschiedener Autoren mehrere Serien und taucht in unterschiedliche Genres ein (Abenteuer, Sciencefiction, Western, Fantasy) Marini ist ein Meister des eleganten Strichs. Mit filmischem Auge komponiert er seine Seiten als schnelle Bildmontagen. Seit 1998 zeichnet und textet Franz Zumstein (*1959) die Serie «Die Himmelsstürmer». Sie erscheint wöchentlich in der «Coopzeitung»; mit einer Auflage von über 1,6 Millinen darf sich Zumstein der auflagenstärkste Deutschschweizer Comic-Zeichner nennen. Von ihm stammt auch der offizielle Werbe-Comic für die Schweiz: «Im Land, das die Zukunft erfand» (2002). Das Album erscheint weltweit in 13 Sprachen. Zum Szenario des Belgiers Stephen Desberg zeichnet Daniel Koller (*1963) aus Genf die Serie «Mayam» (2003): eine Sciencefiction-Story, die temporeich in Szene gesetzt ist, mit fantastischen Landschaften, Schwindel erregenden Perspektiven und aussergewöhnliche Architektur. Deribs Markenzeichen sind äusserst dynamische Seiten, die gezeichnete Szenen in «filmischer» Montagetechnik raffiniert miteinander verbinden.

Einheimische Stoffe

Sambal Oelek (Andreas Müller, *1945), von Haus aus Architekt, widmet sich, nach Le Corbusier und dem Sprayer von Zürich, 1998 dem Leben und Werk von Henri Dufour (1787–1875), General, Kartograf und Mitbegründer des Roten Kreuzes. Dabei arbeitet Oelek durchgehend mit raffiniert konstruierten Doppelseiten, auf denen einzelne Bildmotive durch wundersame Metamorphosen ineinander greifen. In zwei Bänden präsentiert Reto Gloor (*1962) mit seinem Texter Markus Kirchhofer (*1963) die Biografie des Ausbrecherkönigs Bernhart Matter (1821–1854). Die beiden Alben (1992 und 1993) thematisieren nicht nur das Leben des «Schweizer Robin Hood», sie zeichnen auch ein schönes Stück Sozial- geschichte der Schweiz. Melk Thalmann (*1967, Luzern) veröffentlicht seit 1989: humoristische Krimis, eine alte Sage aus ländlicher Umgebung, neu interpretiert, eine Episode aus dem Schweizer Bauernkrieg von 1653. Das Album «Zwischenfall» spielt vor dem Hintergrund der jüngeren Schweizer Geschichte im Kalten Krieg, als sich die Schweiz von einem Atomkrieg bedroht glaubte. Matthias Gnehm (*1970) aus Zürich arbeitet als Architekt und als Comic-Zeichner. Sein architektonischer Hintergrund befruchtet kreativ die Comic-Arbeiten seit den 1990er-Jahren, die zusammen mit dem Szenaristen Francis Rivolta oder im Alleingang entstehen.

Zürich: «Strapazin»

1984 ist das Geburtsjahr des Periodikums «Strapazin» (Zürich), das einheimischen Comic-Schaffenden viermal pro Jahr eine Plattform bietet. Vorbilder und Inspiratoren führt «Strapazin» durch den Abdruck von internationalen Vertretern des künstlerisch ausgerichteten Comic vor. Hier werden zeichnerische Experimente gewagt oder neue Erzählformen erprobt. Mit «Strapazin» verbinden sich Namen wie Peter Bäder, Christophe Badoux, Hannes Binder, Frida Bünzli, Andrea Caprez, Chrigel Farner, Ursula Fürst, Thomas Ott, Andreas Gefe, Claudius Gentinetta, M.S. Bastian, Noyau, Anna Sommer, Pierre Thomé und Mike van Audenhove.

Genf: eigenständige neue Comics

Das Zentrum des neuen Westschweizer Comic bildet Genf (mit Ablegern in Lausanne) mit einer Reihe von eigenständigen Comic-Schaffenden und Klein- bis Kleinstverlagen. Zu dieser neuen Comic-Welle zählen Alex Baladi, Ben (Benoît Marchesini), Christophe Bertschy, Albin Christen, Exem, Ibn Al Rabin (Mathieu Baillif), Joëlle Isoz, Jean-Philippe Kalonji, Andreas Kündig, Patrick Mallet, Mix & Remix (Philippe Becquelin), Frederik Peeters, Isabelle Pralong, Nadia Raviscioni, Helge Reumann, Nicolas Robel, Xavier Robel, José Roosevelt, Lawrence (Laurence Suhner), Tom Tirabosco und Wazem (Pierre Wasem). Das eigene künstlerische Comic-Schaffen wird in zum Teil aufwändig und in speziellen Editionsformen hergestellten Magazinen veröffentlicht: «Bile Noire», «Atrabile», «Drozophile» und «B.ü.L.b» heissen die Titel der Publikationen bzw. Verlage. Ein Ausnahmephänomen stellt der Genfer Zep (Philippe Chappuis, *1967) dar, der mit seiner humoristischen Serie «Titeuf» (ab 1992) international Bestseller-Auflagen erreicht (2004: Band 10 mit einer Startauflage von zwei Millionen Exemplaren).

Zwei Festivals

Mit unterschiedlicher Publikumsausrichtung sind in der Schweiz zwei grössere Festivals um die Förderung der Comic-Welt bemüht: das kommerzielle Festival international de la BD Sierre (1984 bis 2004) an der Sprachgrenze französisch/deutsch im Wallis und das Internationale Comix-Festival Luzern Fumetto (seit 1992, www.fumetto.ch); hier bemüht man sich um die neuen Tendenzen des unabhängigen Schweizer und internationalen Comic-Schaffens.
(Text: Urs Hangartner, 2005)

Von der Literatur zum Comic

In der jüngeren Schweizer Comic-Geschichte sind sie immer wieder anzutreffen: Literaturadaptionen. Von einem Medium ins andere geht der Transfer, wenn geschriebene Sprache übersetzt wird in die gezeichneten Bilder und Texte der Comics. Schweizer Comic-Zeichner greifen nicht selten auf Stoffe der Schweizer Literatur zurück. Dabei verdichten und verkürzen sie selbstverständlich die originalen Literaturvorlagen, gewinnen diesen aber im neuen Medium andere, neue Qualitäten ab. Die Comic-Künstler reizt ein literarischer Stoff, der auf eigensinnige Art umgesetzt werden kann. Durch die Bilder evozieren Comics auf unmittelbarere Weise Stimmungen und Atmosphären als die geschriebenen Texte. Zwei Effekte können sich grundsätzlich bei Literaturadaptionen einstellen: Das Literaturpublikum lässt sich für die Qualitäten des Mediums Comic sensibilisieren, und umgekehrt werden Liebhaber von Comics durch die Adaption zur Literatur hingeführt. Interessanterweise sind es vielfach anspruchsvolle Bücher aus dem Genre des Krimis, die im Comic adaptiert werden, allen voran die beiden grossen Schweizer Schriftsteller Friedrich Glauser und Friedrich Dürrenmatt.

Der Fall Glauser

Er beschäftigt sich am produktivsten mit der Adaption und Interpreta­tion von Schweizer Literatur: Hannes Binder aus Zürich. Durch die Illustration der Buchumschläge einer Neuausgabe der Werke von Friedrich Glauser (1896–1938) war er darauf gekommen, Texte des Schweizer Autors in den Comic zu übersetzen. Seither hat seine Beschäftigung mit Glauser geradezu «obsessive» Ausmasse angenommen. Vor allem angetan haben es Binder die Romane und Erzählungen, die literarischen Krimi­nalromane rund um Wachtmeister Jakob Studer, den etwas eigensinnigen Polizisten, Rotweintrinker und Brissagoraucher. 1988 adaptierte er Studers vierten Fall, «Der Chinese» (Original 1937/1938). Der letzte und sechste Fall, «Krock & Co.» (1937) wurde durch Binder 1990 zum Krimi-Comic. Glauser, der erst lange nach seinem Tod als bedeutender Schweizer Autor gewürdigt wurde, bot in seinen Krimis mit Wachtmeister Studer nicht nur Spannung und Unterhaltung, sondern vermittelte dezidiert auch Sozialkritik, indem er etwa die kleinen Leute ins Zentrum stellte. In seinen Comics hat es Hannes Binder nicht bei der grafisch äusserst stimmigen Adaption (Schabkartontechnik) belassen. In «Glausers Fieber» (1998) geht er weiter und verbindet Faktisches mit Fiktionalem: «Die Lektüre des Romans ‹Fieberkurve› bestärkte mich in der Überzeugung, dass eine Umsetzung nur dann sinnvoll sein würde, wenn ich Glausers Biographie, seinen Frankreichaufenthalt und die schriftstellerische Arbeit mit der Fiktion, in die sie eingehen, konfrontiere und vermische: Das Ganze ein einziger Fiebertraum, in den hinein immer wieder Fragmente aus der Realität – Briefstellen, Tagebuchaufzeichnungen – eindringen, die ich dann mit eigentlich filmischen Mitteln wie Überblendungen einfüge, und so die ‹Fieberkurve› zu einer einzigen Collage verarbeite.» (Hannes Binder)

Comic-Vorlagen von Dürrenmatt

Friedrich Dürrenmatt (1921–1990) ist neben Max Frisch (1911–1991) einer der wichtigsten Schweizer Autoren der Nachkriegszeit. Seine «philosophisch-moralischen» Kriminalromane sind wiederholt zu Comics geworden. «Der Richter und sein Henker» (Roman: 1950/1952; Comic:1988) entstand im Unterricht eines Berner Gymnasiums. Akribisch wurden die Handlungsorte und die Zeitumstände (des Jahres 1948, in welchem der Roman spielt) für die bildliche Umsetzung rekonstruiert. Der Text im Comic besteht aus Originalzitaten. Dieselbe Schule machte sich später auch an Dürrenmatts «Der Verdacht» (Roman: 1952, Comic: 1993). Auch hier wurde eine dokumentarische, detailgetreue Atmosphäre angestrebt. Die philosophischen Reflexionen des Romans setzten die Schüler im Comic mit ganzseitigen Bildern um, die sich wiederum an den malerischen Arbeiten von Dürrenmatt orientieren. 1932 erschien der Roman «Farinet ou la Fausse Monnaie» von Charles Ferdinand Ramuz (Lausanne, 1878–1947), die Geschichte des gleichnamigen anarchischen Falschmünzers und Freiheitshelden aus dem Wallis, der sich gegen die staatliche Obrigkeit auflehnte und als eine Art «Robin Hood» die Armen beschenkte. Ein populärer Stoff, der bald auch zum Film wurde (1939, Regie: Max Haufler). Als Figur taucht Farinet auch im zweibändigem Comic «A la recherche de Peter Pan» (1984/1985) von Cosey auf. Ein fiktiver Schriftsteller spielte darin ebenfalls eine Rolle, und zusätzlich verwob Cosey seine Fiktion mit Motiven aus «Peter Pan» von James Matthew Barrie (1860–1937). 1989 sodann spannten der Walliser Comic-Zeichner Simon (Tschopp) und der Szenarist Daniel Varenne (Paris) zusammen, um eine eigentliche Comic-Version von Ramuz’ «Farinet» zu realisieren.

Ursula Fürst adaptierte 1990 den Roman «Die Ballade von der Typhoid Mary» (1982) des Schweizer Schriftstellers Jürg Federspiel (die Geschichte der Schweizer Auswanderin Maria Caduff im New York des späten 19. Jahrhunderts). Sie verdichtet die literarische Vorlage mit typischem Pinselstrich und Grautönen zum stimmungsvollen Comic. Als Auftrag des renommierten Literaturverlags Artemis & Winkler entstand in einjähriger Arbeit «Die Abenteuer des Odysseus» (1992) von Frida Bünzli (Debra Bühlmann-Drenten). Sie verdichtet das antike Epos von Homer auf 96 Comic-Seiten, wobei der Zugang zum Stoff auf komische Art geschieht. Die Erzählperspektive ist weiblich, weil Frida Bünzli das Geschehen von Nausikaa, Odysseus’ Wohltäterin, berichten lässt Weltliteratur einmal ungewöhnlich anders.

Kritischer Blick aus Frankreich

Als überaus wichtig, um unsere Zeit zu verstehen, erachtete das franzö­sische Brüderpaar Alex (Zeichnungen) und Daniel (Texte) Varenne den autobiografischen Text «Mars» (1976) des Zürcher Autors Fritz Zorn (Pseudonym für einen an Krebs erkrankten Sohn aus dem Zürcher Grossbürgertum; eigentlich Fritz Angst). Sie machten sich an eine Adaption des Buches, welche die Komplexität des Ganzen nicht treu wiederzugeben versuchte. Vielmehr wollten die Brüder Varenne (auf 27 Seiten) eine Hommage gestalten, ein Zeugnis in Comic-Form geben, das auf die literarische Vorlage aufmerksam macht. Weil ihr Werk «Angst und Zorn» (1986 zuerst auf Deutsch erschienen: 1986, aus Anlass von «10 Jahre nach ‹Mars›; französisch als «Angoisse et Colère» 1988) in den Details stimmig sein sollte, begnügten sich die Varennes nicht damit, von Paris aus die literarische Vorlage – woraus sie im Comic originale Textpassagen verwendeten – einfach im Bildermedium zu adaptieren. Sie reisten vielmehr nach Zürich und rekognoszierten die Schauplätze mit Fotoapparat und Zeichenblock. Zusätzliches Dokumentationsmaterial zur Figur des Autors beschafften sie sich bei Bekannten und Zeitzeugen des Verstorbenen. So entstand 10 Jahre nach dem Buch eine zwar eigenwil­lige, aber gelungene Umsetzung. Mit ihrer Arbeit verbanden die Varennes die Absicht, ein kritisches Schweiz-Bild zu zeichnen, ausgehend von der These, dass die reiche Geldgesellschaft krank mache. Theaterstücke, Hörspiele, Bilderbücher, Real- und Zeichentrickfilme, Musicals und eine Oper gab es schon – da konnte natürlich auch der Comic nicht fehlen, wenn es um eine der international bekanntesten Romanfiguren geht. In ihren beiden «Heidi»-Romanen (1880/1881) erzählt die Schriftstellerin Johanna Spyri (1827–1901) vom Waisenmädchen Heidi, das beim Grossvater (Alpöhi) in den Schweizer Alpen aufwächst und später der körperlich behinderten Tochter einer wohlhabenden Kaufmannsfamilie aus Frankfurt neuen Lebensmut gibt. Zahlreiche internationale Adaptionen des «Heidi»-Stoffes als Comic in vielen Sprachen zeugen davon, wie bekannt und beliebt die Schweizer Jugendroman-Figur in der ganzen Welt ist.

Gezeichnete Weltliteratur

Eine besondere, extravagante Form der Literaturadaption im Comic stellt die Reihe ««Comic-Zeichner interpretieren Werke der Weltliteratur» dar, die 1991 bis 1993 in «Das Magazin» des «Tages-Anzeiger» in Zürich erschien. Jedem der weltliterarischen Werke wurde dabei exakt eine einzige Seite eingeräumt. Internationale bekannte Comic-Künstler beteiligen sich am Projekt ebenso wie namhafte Schweizer Comic- Schaffende: Thomas Ott (Carrolls «Alice im Wunderland», Wildes «Das Bildnis des Dorian Gray», Bradburys «Der illustrierte Mann»), M.S.. Bastian (Becketts «Warten auf Godot»; Dürrenmatts «Der Tunnel»), Noyau (Castanedas «Reise nach Ixtlan»; Kerouacs «Unterwegs»), Mix & Remix (Diderots «Jacques der Fatalist», Cervantes’ «Don Quichote»), Ursula Fürst (Jean Pauls «Dr. Katzenbergers Badereise»; Twains «Eine Rigibesteigung»), Schuler/Caprez (Shakespeares «Macbeth», «Romeo und Julia», «Hamlet», «Die Zähmung der Widerspenstigen»), Frida Bünzli (de Costers «Eulenspiegel») und Gefe (Sartres «Der Ekel»). Weltliteratur kurz und witzig.

Disneys «Micky Maus» in der Schweiz

Ein Stück Schweizer Comic-Verlagsgeschichte der 1930er-Jahre.

Im Dezember 1936 erschien die erste deutschsprachige «Micky Maus»-Zeitschrift im Bollmann-Verlag in Zürich. Warum aber gerade in der Schweiz und nicht in Deutschland, wo doch schon in den frühen 30er Jahren Disney-Bücher erschienen waren? Die Antwort finden wir in den Geschichtsbüchern. In seinem Tagebuch notierte Hitlers Propaganda-Minister Joseph Goebbels am 22. Dezember 1937: «Ich schenke dem Führer 18 Micky-Maus-Filme zu Weihnachten. Er freut sich sehr darüber.» Doch obwohl Hitler und Goebbels selbst insgeheim Spass an Zeichentrickfilmen von Walt Disney hatten (*), war die Maus als Produkt der USA im damaligen Deutschland offiziell unerwünscht.

Disney-Material aus Italien und Frankreich

Eines Tages entdeckte Ernst Bollmann in Benito Mussolinis Italien die italienischen Micky-Maus-Zeitschrift «Topolino» im Zeitungsformat. Am 11. November 1936 berichtete die angesehene, bürgerliche «Neue Zürcher Zeitung» folgendes über die bereits durch die Zeichentrickfilme berühmte Maus: «Jedermann kennt die Mickey Mouse und lacht darüber; und doch handelt es sich um eine ernsthafte Angelegenheit. Mickey Mouse ist lediglich eine besondere Gestalt, die dem schöpferischen Hirn Walt Disneys entsprungen ist, durch seine fleissige Hand zu Papier gebracht wurde und als Film in den Kinotheatern aller Erdteile ihr tolles Wesen treibt.» Diese Mickey Mouse sollte unter dem eingedeutschten Namen Micky Maus dem Bollmann-Verlag über die schlechten wirtschaftlichen Zeiten hinweghelfen. Die Wege der Lizenznahme waren indes verworren und sind nicht mehr lückenlos zu rekonstruieren. Wahrscheinlich wurden bei Disney in Paris die Hauptlizenzen und bei Mondadori in Italien die Unterlizenzen erworben. Zwar keinen Beweis für diese Annahme, aber zumindest einen Hinweis darauf finden wir im 1936 erschienenen Bollmann-Buch «Micky Maus in Afrika». Im Impressum wird nämlich auf das «Copyright by Walt Disney Mickey Mouse S.A., Paris» hingewiesen. Dieses Buch kostete 1936 noch Fr. 1.50 und war damit das billigste der insgesamt sieben Micky-Maus-Wunderbücher. Schliesslich hat es auch keine dreidimensionalen Aufstellbilder (Pop-ups) oder Figuren zum Heraustrennen wie die anderen, teureren Wunderbücher.

Zeitung als Werbung für Bücher

So erschien die erste deutschsprachige Probenummer im Format von 37 x 28 cm in der neutralen Schweiz. Josy Priems, eine gute Bekannte der Bollmanns, übersetzte die Geschichten aus dem Italienischen. Sie startete mit einem Taufwettbewerb. Gesucht waren Namen für die verschiedenen Tiere: den Enterich, den Maulesel, das Huhn, den Elefanten .... Als Preise wurden Artikel der Werbeinserenten der ersten Stunde versprochen: Schuhe aus dem renommierten Haus Bally, ein Ski- Kostüm der Konfektionsfirma P.K.Z. oder Spielzeug aus dem Spielwarengeschäft Franz Carl Weber. Diese Probenummer kostete 25 Rappen und ist mit verschiedenen Werbeaufdrucken versehen. Die «Micky Maus»-Zeitung diente als Werbung für die teuren Bücher, die denn auch in vielen Ausgaben der «Micky Maus»-Zeitung abgebildet waren. In der Probenummer wurde sogar ganzseitig Werbung für «das lebende Buch der Micky Maus» gemacht. Das Titelblatt der Probe- nummer war eigens für diese Ausgabe gezeichnet. Es zeigt die Micky-Maus-Familie, direkt aus Hollywood kommend, bei ihrer Ankunft am Zürcher Hauptbahnhof. Der etwas unsichere Zeichenstil verrät, dass da kein Profi, sondern eher ein Familienmitglied der Druckerfamilie Bollmann am Werk war. Das war billiger, als für ein bestehendes Titelblatt die hohen Copyright- Gebühren zu bezahlen. Auf Seite 2 der Probenummer wurde Walt Disney abgebildet und als Schöpfer der Micky Maus vorgestellt. Den Mittelteil bildete die Geschichte «Ein übereifriger Helfer» mit Donald und Micky. Die Rückseite zierte eine frühe, farbige «Micky Maus»-Seite, die eigentlich nur den Abschluss einer mehrseitigen Geschichte bildete, die einer italienischen «Topolino» -Vorlage entnommen war. Mitte Januar 1937 wurden in der Nummer 1 der «Micky Maus»-Zeitung die neuen deutschen Namen der Tiere bekannt gegeben. Auf der ersten Innenseite war die Auflösung des Tauf-Wettbewerbs im Rahmen eines «Tauf-Fests» nachzulesen. Donald Duck wurde Schnatterich getauft, und Goofy war damals Muli (der Maulesel). Der Elefant wurde Jumbo genannt, wohl in Anlehnung an seinen amerikanischen Namen Dumbo.

Eine Zeitung im Zweiwochentakt

Die Zeitungen kamen ab der Nr. 1 14-täglich auf den Markt. Bis Nr. 4 kopierte der Bollmann Verlag bestehende Titelbilder aus den englischen «Mickey Mouse Weekly». Ab Nr. 5 stieg der Preis auf 30 Rappen, und man änderte die Titelbildstrategie, indem man ein zu Ostern passendes Titelbild aus dem Film «Silly Symphonies» wählte, mit dem gleichzeitig Werbung für die Schokolade-Firma Lindt- & Sprüngli gemacht wurde. Ab Nr. 6 wurden die wunderschönen, einzigartigen Bilder dann gross- formatig. Diese Titelbilder stammen teilweise aus den ersten ameri­kanischen «Mickey Mouse Magazines» der frühen Dreissigerjahre und wurden vereinzelt mit dem Spruch «Die Welt voll Witz und Wissen» ergänzt. Gleichzeitig fanden sich hier auf den Rückseiten neu gezeichnete Bilder, etwa das «Zürcher Sechseläuten», ein alter Zürcher Brauch. Die letzte derartige Rückseite ziert die Nr. 9 mit dem Titel «Jn China». Die Rechnung ging für den Bollmann-Verlag nicht auf. Er blieb auf den teuren Wunderbüchern sitzen, und die «Micky Maus»-Zeitung wurde mit der Nr. 18 im September 1937 eingestellt. Micky verabschiedet sich in dieser letzten Ausgabe wie folgt: «Wenn diese Zeitung in Eure Hände kommt, bin ich schon längst über alle Berge. Die skandinavischen Kinder hoch oben im Norden wollen auch eine ‹Micky Maus›-Zeitung haben und luden mich ein zum Eröffnungsfest. Auf dieser Reise werde ich alle übrigen deutschsprechenden Länder aufsuchen und mich nach neuen Freunden umsehen, damit dem umfangreichen Bildermaterial aus den Ateliers meines Freundes Walt Disney grössere Verbreitung verschafft werden kann, vielleicht in einer wöchentlichen, umfangreicheren Herausgabe der ‹Micky Maus›-Zeitung. Hoffentlich gelingt es mir trotz der Grenzsperren.» Im Klartext heisst das, dass die Bollmanns Abnehmer oder Unterlizenznehmer im Dritten Reich und in Österreich suchten.

Nächste «Micky Maus» erst wieder 1951

Micky polterte zum Abschied auch noch gegen die Staatsabgaben: «Doch müsst Ihr auch bedenken, dass eine Zeitung viel Geld kostet und die Schweiz nur ein kleines Land ist, das der Verbreitung eines Blattes durch Taxen und Polizeiverordnungen weit mehr Schwierigkeiten in den Weg legt als andere Länder.» Und er schloss mit den missionarischen Worten: «Ich weiss, dass nicht alle Menschen gerade jetzt guter Laune und ohne Sorgen sind; um so mehr müssen wir Jungen trachten, Freude und Fröhlichkeit ins Dasein zu bringen. Nehmt Euch dies täglich vor, Ihr meine lieben Freunde; es ist dies auch die Mission Eures Micky.» In einem Abschieds- zettel, der vermutlich als Beilage der letzten Ausgabe allen Abonnenten zugestellt wurde, hiess es prophetisch: «... dass wahrscheinlich noch geraume Zeit vergehe, bis der Traum verwirklicht werden könne, eine umfangreichere, wöchentlich erscheinende und billigere Zeitung für das ganze deutsche Sprachgebiet herauszubringen ...»Die Micky Maus erschien nach dem Krieg erst wieder ab September 1951 in einer eigenen deutschen Zeitschrift. Sie erscheint heute immer noch. (*) Carsten Laqua: Wie Micky unter die Nazis fiel, Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek, 1992
Text: Jürg Moser (2005)

Schweiz-Bilder im Comic

«Ich habe mich gefragt: Was gibt es in der Schweiz? Milchschokolade, die Alpen, Volkstänze und Seen. Mit diesen Elementen, die für die Schweiz typisch sind, habe ich den Film gefüttert. Die Seen müssen da sein, damit Leute darin ertränkt werden, und die Alpen, damit sie in Schluchten stürzen.» Alfred Hitchcock im Gespräch mit François Truffaut über seinen Film «The Secret Agent» (1936) «Die Karte der Schweiz hat mich immer an eine Leber erinnert, eine Gänseleber natürlich, die Gänseleber Europas. Genau so, als ob der Kapitalismus und all seine ineinander verschlungenen Definitionen nichts anderes wären, als eine ausgezeichnete Einnahmequelle für dieses Land, ein köstliche Mästung seiner Banktresore.» Fritz Zorn, «Mars» (1976)

«Ils sont fous, les Helvètes!» (Die spinnen, die Schweizer!)
Obélix, «Astérix chez les Helvètes» (1970)


Was Alfred Hitchcock im Zusammenhang mit Klischee-Bildern von der Schweiz für seine praktische Filmarbeit formulierte, gilt auch für unzählige Comic-Zeichner: Die Schweiz lässt sich ideal reduzieren auf ein paar wenige Klischees (die fälschlicherweise als Schweizer Produkt angesehene, in Wirklichkeit aber deutsche Kuckucksuhr nicht ausgeschlossen!), mit denen sich ein bildnerisches Spiel treiben lässt. Die Schweiz ist im internationalen Comic-Kontext immer wieder ein dankbares Objekt für allerlei Verzerrungen und Versimpelungen: für liebevolle, humorvolle Hommagen ebenso wie als Schauplatz von (nicht nur Agenten-) Action, für Unterhaltung und Spannung auf dem Hinter­grund eines «typischen», manchmal auch akribischen und realitätsnahen Landes, das durchaus auch kritisch gezeichnet werden kann.

Zwischen Klischee, Mythos und Wirklichkeit

Das Schweiz-Bild, wie es in den Comics zu Tage tritt, bewegt sich zwischen Klischee, Mythos und Wirklichkeit. Postkartenlandschaften, die von der Schweiz gezeigt werden, werden oft ganz wörtlich genommen: Die Comic-Zeichner, die eine entsprechende Landschaft, eine Stadt oder eine Sehenswürdigkeit für ihre Geschichte benötigen, zeichnen das Gewünschte einfach von einer Ansichtskarte oder einem Ferienprospekt ab. Allerdings gibt es auch andere, die sich die Mühe machen und vor Ort recherchieren, um mit Fotoapparat und Skizzenblock für die spätere Verwendung Schweiz-Bilder zu sammeln. Die Beliebtheitsskala von Schweiz-Motiven zeigt Typisches vorneweg: Alphörner und Jodeln, Käse und Fondue, Schokolade und Uhren, putzige Chalets und lauschige Bergseen, imposante Wasserfälle und hohe Berge (Matterhorn, Jungfrau, Eigernordwand), Bernhardinerhunde, Militärmesser, Städte (Genf, Zürich, Lausanne, Luzern, Bern, Basel), das Bankgeheimnis (Nummernkonto).

Prominente Schweiz-Reisende

Ob für parodistische Spässe allerlei Klischees bemüht werden oder für realistische Handlungen stimmige Schweizer Schauplätze im Comic erscheinen, die Schweiz ist weitherum in der Comic-Welt beliebt. Als Schweiz-Reisende betätigt haben sich auch zahlreiche Comic-Promi­nente: Donald Duck, Tim und Struppi, Micky Maus, Batman, Super­man, Asterix und Obelix, Fix und Foxi und viele andere sind schon mal in der Schweiz zu Besuch gewesen, ob für Ferien oder auf Dienstreise. So fantasierte sich etwa der 1995 verstorbene italienische Comic-Alt- meister Hugo Pratt – er lebte seit 1983 in Grandvaux über dem Genfer­see – in seinem Album «Les Helvètes» (1990) ein magisches Abenteuer mit seinem Helden Corto Maltese zusammen. Corto begibt sich in den 1920er-Jahren auf die Suche nach den Spuren der Parzivalfigur Klingsor und des Heiligen Grals und besucht dafür im Tessin Hermann Hesse. Bevor er jedoch die fantastische Comic-Reise in der Schweiz beginnen lässt, erläutert der Autor Hugo Pratt in einem 20-seitigen Vorspann in Text und Bild historische und politische Zusammenhänge des Landes.

Beliebter Wilhelm Tell

Und nicht zu vergessen, Wilhelm Tell, der Freiheitsheld mit der Arm­brust, der durch den deutschen Schriftsteller Friedrich Schiller und sein Schauspiel von 1804 international bekannt wurde: Unzählbar die Varia­tionen, in denen der Mann aus Uri vor allem mit seiner Apfelschuss-Szene zitiert und parodiert wird. Die Schweiz ist in der Welt der Comics beides: Paradies und Hölle. Sie ist auf der einen Seite neutraler Ort der idyllischen Ruhe, des Friedens, der sicheren Banken, der schönen Landschaften, und auf der anderen Seite gefährlich als Hort von anonym agierenden Übeltätern, einschüchternd und beängstigend durch die steilen Berge und Schluchten und durch die schrecklichen Volksbräuche: Dauerberieselung durch Jodeln, anstrengender Fondue-Verzehr. So oder so, die Schweiz ist in der weiten Welt der internationalen Comics ein Thema.
Text: Urs Hangartner (2005)

link: Pro Helvetia