Comic-Land Schweiz
Eine Ausstellung der Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia
© Pro Helvetia
Nach erfolgreichen Präsentationen in Wien, Graz und Villach war die Ausstellung „Comic-Land Schweiz“ vom 4. bis 30. Mai 2007 im Landeskulturzentrum Ursulinenhof zu sehen.
Sie zeigte die Geschichte und Gegenwart der vielfältigen Schweizer Comic-Kultur und lud zu einer
spannenden Entdeckungsreise in die faszinierende Welt der Bilder und Geschichten ein. Die Ausstellungsarchitektur in Form einer eigens
geschaffenen Landschaft aus Kartonbergen stammte vom Schweizer
Architekten Michael Salvi.
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Die Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia präsentiert, anhand
von 42 Tafeln und einer Internet-Dokumentation, die Ausstellung
«Comic-Land Schweiz». Die Ausstellung ist auf mehreren CD-ROM
gespeichert und kann von Ausstellern weltweit an Ort und Stelle auf Tafeln ausgedruckt werden.
Die Ausstellung zeigt Geschichte und Gegenwart der Schweizer Comic-Kultur und richtet sich an ein breites
Publikum wie an ein Fachpublikum. «Comic-Land Schweiz» lädt ein auf eine spannende Entdeckungsreise in eine
faszinierende Welt der Bilder und Geschichten.
«Comic-Land Schweiz» will einen Einblick geben in Geschichte und
Gegenwart des Comic-Schaffens eines zwar kleinen Landes, das aber eine
reiche und vielfältige Comic-Szene kennt. Einzelnen Künstlern ist es
gelungen, seit den 1970er-Jahren in der internationalen Comic-Welt
bekannt und erfolgreich zu werden.
Historisch beginnt der Bogen beim Genfer Rodolphe Töpffer, der in der
ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts den Comic «erfindet». Der Bogen
endet gegen Ende des 20. Jahrhunderts bei jenen jüngeren Comic-
Schaffenden, die in den beiden Schweizer Zentren Genf und Zürich in
eigenen Magazinen und Editionen in persönlichen Zugängen zum
Medium Neues erproben und künstlerische Experimente wagen.
24 Tafeln bilden das Herzstück der Ausstellung: Cosey, Matthias Gnehm,
Mix & Remix, Noyau, Thomas Ott, Frederik Peeters, Nadia Raviscioni, Helge Reumann, Anna Sommer, Tom Tirabosco,
Wazem und Zep stehen beispielhaft für das aktuelle Schweizer Comic-Schaffen. Die Ausstellung stellt diese
repräsentative Auswahl in Porträts vor. Dazu haben alle zwölf exklusiv für «Comic-Land Schweiz» auf einer Seite
eine abgeschlossene textlose Geschichte zum Thema «Zeit» gestaltet.
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Immer wieder ist die Schweiz dankbares Objekt für zahlreiche Klischees
(Berge, Banken, Heidi, Wilhelm Tell usw.). Im Ausstellungsteil «Typisch
Schweiz» ist eine Auswahl von Bildern versammelt, die sich internationale
Comic-Zeichner von der Schweiz machen. Gerne halten sich auch
Comic-Helden aus aller Welt in der Schweiz auf.
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Zwei Tafeln zeigen in einem «Making of» die verschiedenen Herstellungsphasen
des Comic «Zwischenfall», an dem der Deutschweizer
Melk Thalmann im Alleingang arbeitet: Im Gegensatz zur arbeitsteiligen
Produktion zeichnet er für alle Phasen – von der Storyentwicklung über
das Reinzeichnen bis zum Kolorieren am Bildschirm – selbst
verantwortlich. In «Zwischenfall» mischt er Fakten aus der jüngeren
Schweizer Geschichte mit Fiktion. Eine Tonbildschau von rund 10
Minuten Dauer zeigt ebenfalls die Herstellung des Comic «Zwischenfall»
in zum Teil animierten Sequenzen. Wie die Ausstellungstafeln ist
auch die Tonbildschau in acht Sprachen produziert worden.
Ergänzende Informationen, Website.
Spezielle Seiten der Homepage von Pro Helvetia sind ganz der Ausstellung gewidmet
(http://www.pro-helvetia.ch/expo). Diese Seiten bilden einen eigentlichen Multimedia-Katalog
und ersetzen den herkömmlichen Ausstellungskatalog. Die Seite enthält die Ausstellungstexte –
eine Einleitung (allgemeiner Text), Kleine Schweizer Comic-Geschichte; Von der Literatur zum
Comic; Disneys «Micky Maus» in der Schweiz; «Schweiz-Bilder im
Comic» – und zeigt eine repräsentative Auswahl der Ausstellungstafeln.
Zusätzlich zeigt die Website einen Auszug aus der Tonbildschau, die
sich der Herstellung des Comic «Zwischenfall» widmet.
Die Informationen auf der Website werden ergänzt durch eine
ausführliche Bibliografie wie durch eine Link-Liste; deren Websites zur
Schweizer Comic-Kultur erlauben eine Vertiefung des Wissens rund um
die Schweizer Comic-Kultur.
Kleine Schweizer Comic-Geschichte
Praktisch und theoretisch erfindet der Genfer Rodolphe Töpffer
(1799–1846) die Comics. Von Beruf Lehrer und Pensionatsleiter in Genf, schreibt und zeichnet er
nebenbei. Unter dem Einfluss französischer und
englischer politischer Karikaturisten zeichnet Töpffer 1827 seine erste
Geschichte mit dem Titel «Histoire de Monsieur Vieux Bois». 1833
erscheint «Monsieur Jabot», das erste von insgesamt sieben gedruckten
Alben. Töpffer führt in seinen humoristisch-fantastischen «Romanen in
Bildern» («histoires en estampes») als Erster vor, was die späteren
Comics ausmachen wird: die Verknüpfung von Bild und Text zu einem
erzählerischen Ganzen. Töpffer darf als «Gründervater» der Comics
gelten. 1845 formuliert er in seinem «Essai de Physiognomonie» (Essay
zur Physiognomie) die Umrisse des Erzählens in Bildern und Texten.
Damit definiert er auch theoretisch das neue Medium Comic. In seinem
«Essai» schreibt Töpffer: «Man kann Geschichten schreiben in Kapiteln,
Zeilen, Wörtern: das ist Literatur im eigentlichen Sinn. Man kann
Geschichten schreiben in Folgen graphisch dargestellter Szenen: das ist Literatur in Bildern.»
Werbefiguren als Comic-Erfolge
Ein gutes Jahrhundert vergeht, bis im eigentlichen Bereich des
Comicmit Globi ein erster original schweizerischer Beitrag an die
Öffentlichkeit tritt. 1932 wird Globi als Werbefigur zum 25-Jahr-
Jubiläum des Warenhauses Globus kreiert.
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Ein Jahr später entsteht eine erste Bildergeschichte mit Globi.
Er wird schnell zum Erfolgsphänomen und erfreut sich vor allem
bei den Kindern enormer Beliebtheit. Konzipiert wird «Globi» vom
Globus-Werbechef J. K. Schiele (1902–1988). Robert Lips (1912–1975)
zeichnet bis 1966 den Vogelmenschen. Seit 1935 erscheint (bis heute)
jährlich ein neues «Globi»-Buch. Ab 1938 werden die anfänglich
wortlosen «Globi»-Geschichten mit gereimten Versen versehen.
1948 erreicht «Globi» die erste Million verkaufter Bücher.
Über all die Jahre hat sich Globi kontinuierlich verändert. An diesem
langlebigsten Schweizer Comic lässt sich so auch eine eigentliche
Mentalitätsgeschichte der Schweiz ablesen.
1948 wird vom Verlagshaus Ringier «Ringgi und Zofi» ins Leben gerufen.Die ersten Abenteuer zeichnet Hugo Laubi
(1888–1959) zu gereimten Texten von Fridolin Tschudi (1912–1966). Auch dieser Kinder-Comic geht auf eine Werbeidee
zurück, wie eine Reihe anderer, die aber nie die Nachhaltigkeit von «Globi» erreichen. Auf Anregung der Stiftung
für die Jugend (Pro Juventute) entsteht 1955 «Papa Moll». Dieser Comic ohne Sprechblasen soll «pädagogisch
wertvoll» sein, die Familienwerte preisen und «eine positive Lebenseinstellung» vermitteln. Edith Oppenheim-Jonas
(1907–2001) zeichnet die tragikomischen Erlebnisse und Slapstick-Situationen von Papa Moll und seiner Schweizer
Durchschnittsfamilie. Nach ihrem Tod wird «Papa Moll» von einer neuen Zeichnergeneration fortgesetzt.
Realistische Schauplätze
Nach den 1930er-Jahren (mit der Geburt von Globi) kennt die Schweiz für mehr als zwei
Jahrzehnte praktisch keine eigene Comic-Produktion. Erst in den 1960er-Jahren regen sich im Einflussbereich des
franco-belgischen Marktes (West-)Schweizer Comic-Kreateure. Der Westschweizer Derib (Claude de Ribaupierre, *1944)
ist der erste Schweizer Comic-Zeichner, der es zu internationalem Erfolg bringt. Ausgebildet in den belgischen
Studios von Peyo («Die Schlümpfe»), findet Derib zu einem eigenen, realistisch-präzisen Strich. Sein Werk stellt
den «Wilden Westen» ins Zentrum und kreist um die Themen «Natur – Landschaft –Mensch». Für das kleine Lesepublikum
kreiert er zusammen mit dem Texter Job (André Jobin, *1927) Anfang der 1970er-Jahre die Serie um den
Indianerjungen Yakari. Ganz realistisch zeichnet er als Familiensaga
die Welt des Trappers Buddy Longway in der gleichnamigen Serie.
Deribs Markenzeichen sind äusserst dynamische Seiten, die gezeichnete Szenen in «filmischer» Montagetechnik
raffiniert miteinander verbinden.
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Deribs Schüler Cosey (Bernard Cosendai, *1950) folgt stilistisch seinem
Lehrer in der Behandlung der Seite als ein Ganzes, findet aber zu einem
eigenen, persönlichen Ausdruck. In seiner Serie «Jonathan» (ab 1975)
geht es, durchaus autobiografisch, in ferne Länder Asiens. Ebenfalls
ostwärts reist die Schweizer Serienfigur Stéphane von Daniel Ceppi
(*1951). Wie bei Cosey kennt Ceppi die Schauplätze seiner Comic-
Geschichten aus eigener Anschauung; auch er stützt sich stark auf die
Dokumentation. Die jeweiligen Handlungsorte in «Stéphane» (ab 1978)
bieten dem Autor und Zeichner Gelegenheit, comic-journalistisch
aktuelle politische und soziale Bezüge zu schaffen. Magische Motive und
exotische Schauplätze sind Merkmale der frühen Comic-Kunst von
Ab’Aigre (Pascal Habegger, *1949). Der Pinselstrich seiner Geschichten ist
locker, «schnell», spontan, kräftig. Es ist ein nicht-naturalistischer,
abstrahierender Stil, ausdrucksstark und originell. Damit stellt sich
Ab’Aigre in die Traditionslinie von Meistern des expressiven
Schwarzweiss-Comic. Véronik (Véronique Frossard, *1957) ist eine der
ersten und wenigen Schweizer Comic-Frauen, die professionell arbeiten.
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1988 gestaltet Véronik mit «Lou Strass. Only You» einen der ersten
Comics zum Thema Aids. In verschiedenen gestalterischen Bereichen (Grafik, Design,
Animationsfilm, Theater, Malerei) ist Gérald Poussin
(*1946) zu Hause. Anarchisch, fantastisch, wild und bunt zeigt sich
Poussins Bilder-Universum. Seine Comics mit den Figuren Buddy und Flappo sind unverwechselbarer
Ausdruck eines ungezügelt-komischen Zeichnens, das sich an der Ästhetik des kunstvoll Kindlich-Naiven
orientiert. Einer, der wie sein Geistesverwandter Poussin in der Zeit des politischkulturellen
Aufbruchs der 1970er-Jahre neue Ausdrucksformen erprobt und sich in.
Comics in Zeitungen und Zeitschriften
Der Zürcher René (René Lehner, *1955) ist der allererste professionelle
Comic-Zeichner der Deutschschweiz. Frühe humoristische Comics
publiziert er Ende der 1970er-Jahre. Mit Bill Body kreiert René 1987
eine komische Figur aus der Welt des Sports. «Bill Body» wird als Strip
international vertrieben und findet ein Millionenpublikum. 1997 wird
die Comic-Welt von «Zürich by Mike» ins Leben gerufen. Im Wochentakt im «Züritipp»
vorabgedruckt, entwickeln sich die gesammelten Einseiter von Mike van Audenhove (*1957, USA) in
Album-Form regelmässig und schnell zu Deutschschweizer Comic-Bestsellern. Er lässt seine
«Helden» turbulente bis besinnliche, aber immer äusserst pointierte und witzige
Alltagsabenteuer erleben. Alex Macartney (*1963, GB) arbeitet als Comic-Zeichner für Zeitungen
und Zeitschriften und publiziert seine Arbeiten als Sammelbände. Seit 1995 gibt es von ihm
«Herr Hummel», Strips mit einem wahren Antihelden.
Felix Schaad (*1961, Zeichnungen) und Claude Jaermann (*1958, Texte)
liefern ab Mitte der 1990er-Jahre die bösen Alltagssatiren um den
ziemlich konservativen, typisch schweizerischen Kleinbürger Herrn
Zwicky. Grossen Anklang findet das Meisterstück der beiden: «EVA»
berichtet im «Tages-Anzeiger» seit 2001 täglich aus der Arbeitswelt der
«working poor» Eva Grdjic, die an der Supermarkt-Kasse tätig ist.
Dieser Strip schafft es, aktuell Soziales und Politisches, den Wahnsinn
des Alltags auf den komischen Punkt zu bringen.
Ein technischer Pionier aus der Westschweiz ist Christophe Bertschy
(*1970): Er gestaltet seine Comics ab 2000 vollständig digital und hat
mit seinen Computer-Arbeiten einen eigenständigen Stil geschaffen.
In der Strip-Serie «Nelson» treibt das gleichnamige orangefarbige
Teufelchen täglich in «Le Matin» seine Spässe. Der Genfer Buche
(Eric Buchschacher, *1965) zeichnet seit den 1990er-Jahren realistisch in
seiner Abenteuer-Serie «Vincent Muraz» (Szenario: Georges Pop).
Buche pflegt mit Erfolg ebenso den Funny-Stil: Im Comic-Magazin
«Tchô!» erscheinen die irren Gags mit Franky Snow.
Auf dem internationalen Markt
Enrico Marini (*1969) hat es als einer der wenigen Deutschschweizer
geschafft, für das Ausland zu arbeiten. Marini zeichnet nach Szenarien
verschiedener Autoren mehrere Serien und taucht in unterschiedliche
Genres ein (Abenteuer, Sciencefiction, Western, Fantasy) Marini ist
ein Meister des eleganten Strichs. Mit filmischem Auge komponiert er
seine Seiten als schnelle Bildmontagen. Seit 1998 zeichnet und
textet Franz Zumstein (*1959) die Serie «Die Himmelsstürmer».
Sie erscheint wöchentlich in der «Coopzeitung»; mit einer Auflage
von über 1,6 Millinen darf sich Zumstein der auflagenstärkste
Deutschschweizer Comic-Zeichner nennen. Von ihm stammt auch der offizielle Werbe-Comic für die
Schweiz: «Im Land, das die Zukunft erfand» (2002). Das Album erscheint weltweit in 13 Sprachen.
Zum Szenario des Belgiers Stephen Desberg zeichnet Daniel Koller (*1963) aus Genf die Serie «Mayam» (2003):
eine Sciencefiction-Story, die temporeich in Szene gesetzt ist, mit fantastischen Landschaften,
Schwindel erregenden Perspektiven und aussergewöhnliche Architektur.
Deribs Markenzeichen sind äusserst dynamische Seiten, die gezeichnete Szenen in «filmischer» Montagetechnik
raffiniert miteinander verbinden.
Einheimische Stoffe
Sambal Oelek (Andreas Müller, *1945), von Haus aus Architekt, widmet
sich, nach Le Corbusier und dem Sprayer von Zürich, 1998 dem Leben
und Werk von Henri Dufour (1787–1875), General, Kartograf und
Mitbegründer des Roten Kreuzes. Dabei arbeitet Oelek durchgehend
mit raffiniert konstruierten Doppelseiten, auf denen einzelne Bildmotive
durch wundersame Metamorphosen ineinander greifen. In zwei Bänden präsentiert Reto Gloor
(*1962) mit seinem Texter Markus Kirchhofer (*1963) die Biografie des Ausbrecherkönigs Bernhart
Matter (1821–1854). Die beiden Alben (1992 und 1993) thematisieren nicht nur das Leben des
«Schweizer Robin Hood», sie zeichnen auch ein schönes Stück Sozial-
geschichte der Schweiz. Melk Thalmann (*1967, Luzern) veröffentlicht seit 1989: humoristische
Krimis, eine alte Sage aus ländlicher Umgebung, neu interpretiert, eine Episode aus dem
Schweizer Bauernkrieg von 1653. Das Album «Zwischenfall» spielt vor dem Hintergrund der jüngeren
Schweizer Geschichte im Kalten Krieg, als sich die Schweiz von einem Atomkrieg bedroht glaubte.
Matthias Gnehm (*1970) aus Zürich arbeitet als Architekt und als Comic-Zeichner. Sein
architektonischer Hintergrund befruchtet kreativ die Comic-Arbeiten seit den 1990er-Jahren, die
zusammen mit dem Szenaristen Francis Rivolta oder im Alleingang entstehen.
Zürich: «Strapazin»
1984 ist das Geburtsjahr des Periodikums «Strapazin» (Zürich), das
einheimischen Comic-Schaffenden viermal pro Jahr eine Plattform
bietet. Vorbilder und Inspiratoren führt «Strapazin» durch den Abdruck von internationalen
Vertretern des künstlerisch ausgerichteten Comic vor. Hier werden zeichnerische Experimente
gewagt oder neue Erzählformen erprobt. Mit «Strapazin» verbinden sich Namen wie Peter Bäder,
Christophe Badoux, Hannes Binder, Frida Bünzli, Andrea Caprez, Chrigel Farner, Ursula Fürst,
Thomas Ott, Andreas Gefe, Claudius Gentinetta, M.S. Bastian, Noyau, Anna Sommer, Pierre Thomé
und Mike van Audenhove.
Genf: eigenständige neue Comics
Das Zentrum des neuen Westschweizer Comic bildet Genf (mit Ablegern in Lausanne) mit einer
Reihe von eigenständigen Comic-Schaffenden und Klein- bis Kleinstverlagen. Zu dieser neuen
Comic-Welle zählen Alex Baladi, Ben (Benoît Marchesini), Christophe Bertschy, Albin Christen,
Exem, Ibn Al Rabin (Mathieu Baillif), Joëlle Isoz, Jean-Philippe Kalonji,
Andreas Kündig, Patrick Mallet, Mix & Remix (Philippe Becquelin),
Frederik Peeters, Isabelle Pralong, Nadia Raviscioni, Helge Reumann,
Nicolas Robel, Xavier Robel, José Roosevelt, Lawrence (Laurence
Suhner), Tom Tirabosco und Wazem (Pierre Wasem). Das eigene
künstlerische Comic-Schaffen wird in zum Teil aufwändig und in
speziellen Editionsformen hergestellten Magazinen veröffentlicht:
«Bile Noire», «Atrabile», «Drozophile» und «B.ü.L.b» heissen die Titel der
Publikationen bzw. Verlage.
Ein Ausnahmephänomen stellt der Genfer Zep (Philippe Chappuis, *1967) dar, der mit seiner
humoristischen Serie «Titeuf» (ab 1992) international Bestseller-Auflagen erreicht
(2004: Band 10 mit einer Startauflage von zwei Millionen Exemplaren).
Zwei Festivals
Mit unterschiedlicher Publikumsausrichtung sind in der Schweiz zwei
grössere Festivals um die Förderung der Comic-Welt bemüht: das
kommerzielle Festival international de la BD Sierre (1984 bis 2004) an
der Sprachgrenze französisch/deutsch im Wallis und das Internationale
Comix-Festival Luzern Fumetto (seit 1992, www.fumetto.ch); hier
bemüht man sich um die neuen Tendenzen des unabhängigen
Schweizer und internationalen Comic-Schaffens.
(Text: Urs Hangartner, 2005)
Von der Literatur zum Comic
In der jüngeren Schweizer Comic-Geschichte sind sie immer wieder
anzutreffen: Literaturadaptionen. Von einem Medium ins andere geht der Transfer, wenn
geschriebene Sprache übersetzt wird in die gezeichneten
Bilder und Texte der Comics. Schweizer Comic-Zeichner greifen nicht
selten auf Stoffe der Schweizer Literatur zurück. Dabei verdichten und
verkürzen sie selbstverständlich die originalen Literaturvorlagen,
gewinnen diesen aber im neuen Medium andere, neue Qualitäten ab.
Die Comic-Künstler reizt ein literarischer Stoff, der auf eigensinnige Art
umgesetzt werden kann. Durch die Bilder evozieren Comics auf
unmittelbarere Weise Stimmungen und Atmosphären als die
geschriebenen Texte. Zwei Effekte können sich grundsätzlich bei
Literaturadaptionen einstellen: Das Literaturpublikum lässt sich für die Qualitäten des Mediums
Comic sensibilisieren, und umgekehrt werden Liebhaber von Comics durch die Adaption zur Literatur hingeführt.
Interessanterweise sind es vielfach anspruchsvolle Bücher aus dem Genre des Krimis, die im Comic adaptiert werden,
allen voran die beiden grossen Schweizer Schriftsteller Friedrich Glauser und Friedrich Dürrenmatt.
Der Fall Glauser
Er beschäftigt sich am produktivsten mit der Adaption und Interpretation von Schweizer
Literatur: Hannes Binder aus Zürich. Durch die Illustration der Buchumschläge einer Neuausgabe der Werke von Friedrich Glauser (1896–1938) war er darauf gekommen, Texte des Schweizer
Autors in den Comic zu übersetzen. Seither hat seine Beschäftigung mit Glauser geradezu
«obsessive» Ausmasse angenommen. Vor allem angetan haben es Binder die Romane und Erzählungen, die literarischen Kriminalromane rund um Wachtmeister Jakob Studer, den etwas eigensinnigen Polizisten, Rotweintrinker und Brissagoraucher. 1988 adaptierte er
Studers vierten Fall, «Der Chinese» (Original 1937/1938). Der letzte und sechste Fall, «Krock &
Co.» (1937) wurde durch Binder 1990 zum Krimi-Comic. Glauser, der erst lange nach seinem Tod
als bedeutender Schweizer Autor gewürdigt wurde, bot in seinen Krimis mit Wachtmeister Studer
nicht nur Spannung und Unterhaltung, sondern vermittelte dezidiert auch Sozialkritik, indem er
etwa die kleinen Leute ins Zentrum stellte. In seinen Comics hat es Hannes Binder nicht bei der
grafisch äusserst stimmigen Adaption (Schabkartontechnik) belassen. In «Glausers Fieber» (1998) geht er weiter
und verbindet Faktisches mit Fiktionalem:
«Die Lektüre des Romans ‹Fieberkurve› bestärkte mich in der Überzeugung, dass eine Umsetzung
nur dann sinnvoll sein würde, wenn ich Glausers Biographie, seinen Frankreichaufenthalt und die
schriftstellerische Arbeit mit der Fiktion, in die sie eingehen, konfrontiere und
vermische: Das Ganze ein einziger Fiebertraum, in den hinein immer wieder Fragmente aus der
Realität – Briefstellen, Tagebuchaufzeichnungen – eindringen, die ich dann mit eigentlich filmischen Mitteln wie
Überblendungen einfüge, und so die ‹Fieberkurve› zu einer einzigen Collage verarbeite.» (Hannes Binder)
Comic-Vorlagen von Dürrenmatt
Friedrich Dürrenmatt (1921–1990) ist neben Max Frisch (1911–1991) einer der wichtigsten
Schweizer Autoren der Nachkriegszeit. Seine «philosophisch-moralischen» Kriminalromane sind wiederholt zu Comics
geworden. «Der Richter und sein Henker» (Roman: 1950/1952; Comic:1988) entstand im Unterricht eines Berner
Gymnasiums. Akribisch wurden die Handlungsorte und die Zeitumstände
(des Jahres 1948, in welchem der Roman spielt) für die bildliche
Umsetzung rekonstruiert. Der Text im Comic besteht aus Originalzitaten. Dieselbe Schule machte sich später auch an
Dürrenmatts «Der Verdacht» (Roman: 1952, Comic: 1993).
Auch hier wurde eine dokumentarische, detailgetreue Atmosphäre angestrebt. Die philosophischen
Reflexionen des Romans setzten die Schüler im Comic mit ganzseitigen Bildern um, die sich wiederum an
den malerischen Arbeiten von Dürrenmatt orientieren. 1932 erschien der Roman «Farinet ou la Fausse Monnaie» von
Charles Ferdinand Ramuz (Lausanne, 1878–1947), die Geschichte des gleichnamigen
anarchischen Falschmünzers und Freiheitshelden aus dem Wallis, der sich gegen die staatliche
Obrigkeit auflehnte und als eine Art «Robin Hood» die Armen beschenkte. Ein populärer Stoff,
der bald auch zum Film wurde (1939, Regie: Max Haufler). Als Figur taucht Farinet auch im
zweibändigem Comic «A la recherche de Peter Pan» (1984/1985) von Cosey auf. Ein fiktiver
Schriftsteller spielte darin ebenfalls eine Rolle, und zusätzlich verwob Cosey seine Fiktion mit Motiven
aus «Peter Pan» von James Matthew Barrie (1860–1937). 1989 sodann spannten der
Walliser Comic-Zeichner Simon (Tschopp) und der Szenarist Daniel Varenne (Paris) zusammen, um eine eigentliche
Comic-Version von Ramuz’ «Farinet» zu realisieren.
Ursula Fürst adaptierte 1990 den Roman «Die Ballade von der Typhoid
Mary» (1982) des Schweizer Schriftstellers Jürg Federspiel (die Geschichte
der Schweizer Auswanderin Maria Caduff im New York des späten 19. Jahrhunderts). Sie verdichtet
die literarische Vorlage mit typischem Pinselstrich und Grautönen zum stimmungsvollen Comic. Als Auftrag
des renommierten Literaturverlags Artemis & Winkler entstand in einjähriger Arbeit «Die Abenteuer des Odysseus»
(1992) von Frida Bünzli (Debra Bühlmann-Drenten). Sie verdichtet das antike Epos
von Homer auf 96 Comic-Seiten, wobei der Zugang zum Stoff auf komische Art geschieht. Die Erzählperspektive ist
weiblich, weil Frida Bünzli das Geschehen von Nausikaa, Odysseus’ Wohltäterin, berichten lässt
Weltliteratur einmal ungewöhnlich anders.
Kritischer Blick aus Frankreich
Als überaus wichtig, um unsere Zeit zu verstehen, erachtete das französische Brüderpaar Alex
(Zeichnungen) und Daniel (Texte) Varenne den autobiografischen Text «Mars» (1976) des Zürcher Autors Fritz Zorn
(Pseudonym für einen an Krebs erkrankten Sohn aus dem Zürcher
Grossbürgertum; eigentlich Fritz Angst). Sie machten sich an eine
Adaption des Buches, welche die Komplexität des Ganzen nicht treu
wiederzugeben versuchte. Vielmehr wollten die Brüder Varenne (auf 27
Seiten) eine Hommage gestalten, ein Zeugnis in Comic-Form geben, das
auf die literarische Vorlage aufmerksam macht. Weil ihr Werk «Angst und Zorn» (1986 zuerst auf
Deutsch erschienen: 1986, aus Anlass von «10 Jahre nach ‹Mars›; französisch als «Angoisse et
Colère» 1988) in den Details stimmig sein sollte, begnügten sich die Varennes nicht damit,
von Paris aus die literarische Vorlage – woraus sie im Comic originale
Textpassagen verwendeten – einfach im Bildermedium zu adaptieren. Sie
reisten vielmehr nach Zürich und rekognoszierten die Schauplätze mit
Fotoapparat und Zeichenblock. Zusätzliches Dokumentationsmaterial zur
Figur des Autors beschafften sie sich bei Bekannten und Zeitzeugen des Verstorbenen. So
entstand 10 Jahre nach dem Buch eine zwar eigenwillige, aber gelungene Umsetzung. Mit ihrer
Arbeit verbanden die Varennes die Absicht, ein kritisches Schweiz-Bild zu zeichnen, ausgehend
von der These, dass die reiche Geldgesellschaft krank mache. Theaterstücke,
Hörspiele, Bilderbücher, Real- und Zeichentrickfilme, Musicals und eine Oper gab es schon – da
konnte natürlich auch der Comic nicht fehlen, wenn es um eine der international bekanntesten
Romanfiguren geht.
In ihren beiden «Heidi»-Romanen (1880/1881) erzählt die Schriftstellerin
Johanna Spyri (1827–1901) vom Waisenmädchen Heidi, das beim
Grossvater (Alpöhi) in den Schweizer Alpen aufwächst und später der
körperlich behinderten Tochter einer wohlhabenden Kaufmannsfamilie aus Frankfurt neuen
Lebensmut gibt. Zahlreiche internationale Adaptionen des «Heidi»-Stoffes als Comic in vielen
Sprachen zeugen davon, wie bekannt und beliebt die Schweizer Jugendroman-Figur in der ganzen Welt ist.
Gezeichnete Weltliteratur
Eine besondere, extravagante Form der Literaturadaption im Comic stellt
die Reihe ««Comic-Zeichner interpretieren Werke der Weltliteratur» dar,
die 1991 bis 1993 in «Das Magazin» des «Tages-Anzeiger» in Zürich
erschien. Jedem der weltliterarischen Werke wurde dabei exakt eine
einzige Seite eingeräumt. Internationale bekannte Comic-Künstler
beteiligen sich am Projekt ebenso wie namhafte Schweizer Comic-
Schaffende: Thomas Ott (Carrolls «Alice im Wunderland», Wildes «Das
Bildnis des Dorian Gray», Bradburys «Der illustrierte Mann»), M.S..
Bastian (Becketts «Warten auf Godot»; Dürrenmatts «Der Tunnel»),
Noyau (Castanedas «Reise nach Ixtlan»; Kerouacs «Unterwegs»),
Mix & Remix (Diderots «Jacques der Fatalist», Cervantes’ «Don Quichote»),
Ursula Fürst (Jean Pauls «Dr. Katzenbergers Badereise»; Twains «Eine
Rigibesteigung»), Schuler/Caprez (Shakespeares «Macbeth», «Romeo
und Julia», «Hamlet», «Die Zähmung der Widerspenstigen»), Frida
Bünzli (de Costers «Eulenspiegel») und Gefe (Sartres «Der Ekel»).
Weltliteratur kurz und witzig.
Disneys «Micky Maus» in der Schweiz
Ein Stück Schweizer Comic-Verlagsgeschichte der 1930er-Jahre.
Im Dezember 1936 erschien die erste deutschsprachige «Micky Maus»-Zeitschrift im
Bollmann-Verlag in Zürich. Warum aber gerade in der Schweiz und nicht in Deutschland, wo doch schon in den
frühen 30er Jahren Disney-Bücher erschienen waren? Die Antwort finden wir in den Geschichtsbüchern. In
seinem Tagebuch notierte Hitlers Propaganda-Minister Joseph Goebbels am 22. Dezember 1937: «Ich
schenke dem Führer 18 Micky-Maus-Filme zu Weihnachten. Er freut sich sehr darüber.» Doch
obwohl Hitler und Goebbels selbst insgeheim Spass an Zeichentrickfilmen von Walt Disney hatten (*),
war die Maus als Produkt der USA im damaligen Deutschland offiziell unerwünscht.
Disney-Material aus Italien und Frankreich
Eines Tages entdeckte Ernst Bollmann in Benito Mussolinis Italien die
italienischen Micky-Maus-Zeitschrift «Topolino» im Zeitungsformat.
Am 11. November 1936 berichtete die angesehene, bürgerliche «Neue Zürcher Zeitung» folgendes
über die bereits durch die Zeichentrickfilme
berühmte Maus: «Jedermann kennt die Mickey Mouse und lacht darüber; und doch handelt es sich um
eine ernsthafte Angelegenheit. Mickey Mouse ist lediglich eine besondere Gestalt, die dem
schöpferischen Hirn Walt Disneys entsprungen ist, durch seine fleissige Hand zu Papier gebracht
wurde und als Film in den Kinotheatern aller Erdteile ihr tolles Wesen
treibt.» Diese Mickey Mouse sollte unter dem eingedeutschten Namen
Micky Maus dem Bollmann-Verlag über die schlechten wirtschaftlichen
Zeiten hinweghelfen. Die Wege der Lizenznahme waren indes verworren
und sind nicht mehr lückenlos zu rekonstruieren. Wahrscheinlich wurden
bei Disney in Paris die Hauptlizenzen und bei Mondadori in
Italien die Unterlizenzen erworben. Zwar keinen Beweis für diese Annahme, aber zumindest einen
Hinweis darauf finden wir im 1936 erschienenen Bollmann-Buch «Micky Maus in Afrika».
Im Impressum wird nämlich auf das «Copyright by Walt Disney Mickey Mouse S.A.,
Paris» hingewiesen. Dieses Buch kostete 1936 noch Fr. 1.50 und war
damit das billigste der insgesamt sieben Micky-Maus-Wunderbücher.
Schliesslich hat es auch keine dreidimensionalen Aufstellbilder
(Pop-ups) oder Figuren zum Heraustrennen wie die anderen, teureren
Wunderbücher.
Zeitung als Werbung für Bücher
So erschien die erste deutschsprachige Probenummer im Format von 37 x
28 cm in der neutralen Schweiz. Josy Priems, eine gute Bekannte der
Bollmanns, übersetzte die Geschichten aus dem Italienischen. Sie
startete mit einem Taufwettbewerb. Gesucht waren Namen für die
verschiedenen Tiere: den Enterich, den Maulesel, das Huhn, den
Elefanten .... Als Preise wurden Artikel der Werbeinserenten der ersten
Stunde versprochen: Schuhe aus dem renommierten Haus Bally, ein Ski-
Kostüm der Konfektionsfirma P.K.Z. oder Spielzeug aus dem
Spielwarengeschäft Franz Carl Weber. Diese Probenummer kostete 25
Rappen und ist mit verschiedenen Werbeaufdrucken versehen.
Die «Micky Maus»-Zeitung diente als Werbung für die teuren Bücher, die
denn auch in vielen Ausgaben der «Micky Maus»-Zeitung abgebildet waren.
In der Probenummer wurde sogar ganzseitig Werbung für «das lebende
Buch der Micky Maus» gemacht. Das Titelblatt der Probe-
nummer war eigens für diese Ausgabe gezeichnet. Es zeigt die
Micky-Maus-Familie, direkt aus Hollywood kommend, bei
ihrer Ankunft am Zürcher Hauptbahnhof. Der etwas unsichere
Zeichenstil verrät, dass da kein Profi, sondern eher ein
Familienmitglied der Druckerfamilie Bollmann am Werk war. Das war
billiger, als für ein bestehendes Titelblatt die hohen Copyright-
Gebühren zu bezahlen. Auf Seite 2 der Probenummer wurde
Walt Disney abgebildet und als Schöpfer der Micky Maus vorgestellt.
Den Mittelteil bildete die Geschichte «Ein übereifriger Helfer» mit
Donald und Micky. Die Rückseite zierte eine frühe, farbige
«Micky Maus»-Seite, die eigentlich nur den Abschluss einer
mehrseitigen Geschichte bildete, die einer italienischen «Topolino»
-Vorlage entnommen war. Mitte Januar 1937 wurden in der
Nummer 1 der «Micky Maus»-Zeitung die neuen deutschen Namen
der Tiere bekannt gegeben. Auf der ersten Innenseite war die
Auflösung des Tauf-Wettbewerbs im Rahmen eines «Tauf-Fests»
nachzulesen. Donald Duck wurde Schnatterich getauft, und Goofy
war damals Muli (der Maulesel). Der Elefant wurde Jumbo genannt,
wohl in Anlehnung an seinen amerikanischen Namen Dumbo.
Eine Zeitung im Zweiwochentakt
Die Zeitungen kamen ab der Nr. 1 14-täglich auf den Markt. Bis Nr. 4
kopierte der Bollmann Verlag bestehende Titelbilder aus den englischen
«Mickey Mouse Weekly». Ab Nr. 5 stieg der Preis auf 30 Rappen, und man änderte die
Titelbildstrategie, indem man ein zu Ostern passendes
Titelbild aus dem Film «Silly Symphonies» wählte, mit dem gleichzeitig
Werbung für die Schokolade-Firma Lindt- & Sprüngli gemacht wurde.
Ab Nr. 6 wurden die wunderschönen, einzigartigen Bilder dann gross-
formatig. Diese Titelbilder stammen teilweise aus den ersten amerikanischen «Mickey Mouse
Magazines» der frühen Dreissigerjahre und wurden vereinzelt mit dem Spruch «Die Welt voll Witz
und Wissen» ergänzt. Gleichzeitig fanden sich hier auf den Rückseiten neu gezeichnete
Bilder, etwa das «Zürcher Sechseläuten», ein alter Zürcher Brauch.
Die letzte derartige Rückseite ziert die Nr. 9 mit dem Titel «Jn China».
Die Rechnung ging für den Bollmann-Verlag nicht auf. Er blieb auf den
teuren Wunderbüchern sitzen, und die «Micky Maus»-Zeitung wurde mit der Nr. 18 im September
1937 eingestellt. Micky verabschiedet sich in dieser letzten Ausgabe wie folgt: «Wenn diese Zeitung in Eure Hände
kommt, bin ich schon längst über alle Berge. Die skandinavischen Kinder hoch oben im Norden
wollen auch eine ‹Micky Maus›-Zeitung haben und luden mich ein zum Eröffnungsfest. Auf dieser
Reise werde ich alle übrigen deutschsprechenden Länder aufsuchen und mich nach neuen
Freunden umsehen, damit dem umfangreichen Bildermaterial aus den
Ateliers meines Freundes Walt Disney grössere Verbreitung verschafft
werden kann, vielleicht in einer wöchentlichen, umfangreicheren
Herausgabe der ‹Micky Maus›-Zeitung. Hoffentlich gelingt es mir trotz
der Grenzsperren.» Im Klartext heisst das, dass die Bollmanns Abnehmer
oder Unterlizenznehmer im Dritten Reich und in Österreich suchten.
Nächste «Micky Maus» erst wieder 1951
Micky polterte zum Abschied auch noch gegen die Staatsabgaben: «Doch müsst Ihr auch bedenken,
dass eine Zeitung viel Geld kostet und die Schweiz nur ein kleines Land ist, das der Verbreitung eines Blattes durch
Taxen und Polizeiverordnungen weit mehr Schwierigkeiten in den Weg legt als andere Länder.» Und
er schloss mit den missionarischen Worten: «Ich weiss, dass nicht alle Menschen gerade jetzt
guter Laune und ohne Sorgen sind; um so mehr müssen wir Jungen trachten, Freude und
Fröhlichkeit ins Dasein zu bringen. Nehmt Euch dies täglich vor, Ihr meine lieben Freunde; es
ist dies auch die Mission Eures Micky.» In einem Abschieds-
zettel, der vermutlich als Beilage der letzten Ausgabe allen Abonnenten zugestellt wurde, hiess
es prophetisch: «... dass wahrscheinlich noch geraume Zeit vergehe, bis der Traum verwirklicht werden könne, eine
umfangreichere, wöchentlich erscheinende und billigere Zeitung für das ganze deutsche
Sprachgebiet herauszubringen ...»Die Micky Maus erschien
nach dem Krieg erst wieder ab September 1951 in einer eigenen deutschen
Zeitschrift. Sie erscheint heute immer noch. (*) Carsten Laqua:
Wie Micky unter die Nazis fiel, Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek, 1992
Text: Jürg Moser (2005)
Schweiz-Bilder im Comic
«Ich habe mich gefragt: Was gibt es in der Schweiz? Milchschokolade,
die Alpen, Volkstänze und Seen. Mit diesen Elementen, die für die
Schweiz typisch sind, habe ich den Film gefüttert. Die Seen müssen da
sein, damit Leute darin ertränkt werden, und die Alpen, damit sie in
Schluchten stürzen.» Alfred Hitchcock im Gespräch mit
François Truffaut über seinen Film «The Secret Agent» (1936)
«Die Karte der Schweiz hat mich immer an eine Leber erinnert, eine
Gänseleber natürlich, die Gänseleber Europas. Genau so, als ob der
Kapitalismus und all seine ineinander verschlungenen Definitionen
nichts anderes wären, als eine ausgezeichnete Einnahmequelle für dieses
Land, ein köstliche Mästung seiner Banktresore.»
Fritz Zorn, «Mars» (1976)
«Ils sont fous, les Helvètes!» (Die spinnen, die Schweizer!)
Obélix, «Astérix chez les Helvètes» (1970)
Was Alfred Hitchcock im Zusammenhang mit Klischee-Bildern von der
Schweiz für seine praktische Filmarbeit formulierte, gilt auch für
unzählige Comic-Zeichner: Die Schweiz lässt sich ideal reduzieren auf
ein paar wenige Klischees (die fälschlicherweise als Schweizer Produkt
angesehene, in Wirklichkeit aber deutsche Kuckucksuhr nicht
ausgeschlossen!), mit denen sich ein bildnerisches Spiel treiben lässt.
Die Schweiz ist im internationalen Comic-Kontext immer wieder ein
dankbares Objekt für allerlei Verzerrungen und Versimpelungen: für
liebevolle, humorvolle Hommagen ebenso wie als Schauplatz von (nicht
nur Agenten-) Action, für Unterhaltung und Spannung auf dem Hintergrund eines «typischen»,
manchmal auch akribischen und realitätsnahen Landes, das durchaus auch kritisch gezeichnet werden kann.
Zwischen Klischee, Mythos und Wirklichkeit
Das Schweiz-Bild, wie es in den Comics zu Tage tritt, bewegt sich
zwischen Klischee, Mythos und Wirklichkeit. Postkartenlandschaften, die von der Schweiz gezeigt
werden, werden oft ganz wörtlich genommen:
Die Comic-Zeichner, die eine entsprechende Landschaft, eine Stadt oder eine Sehenswürdigkeit
für ihre Geschichte benötigen, zeichnen das Gewünschte einfach von einer Ansichtskarte oder
einem Ferienprospekt ab. Allerdings gibt es auch andere, die sich die Mühe machen und vor Ort
recherchieren, um mit Fotoapparat und Skizzenblock für die spätere Verwendung Schweiz-Bilder zu
sammeln. Die Beliebtheitsskala von Schweiz-Motiven zeigt Typisches vorneweg:
Alphörner und Jodeln, Käse und Fondue, Schokolade und
Uhren, putzige Chalets und lauschige Bergseen, imposante Wasserfälle und hohe Berge
(Matterhorn, Jungfrau, Eigernordwand), Bernhardinerhunde, Militärmesser, Städte
(Genf, Zürich, Lausanne, Luzern, Bern, Basel), das Bankgeheimnis (Nummernkonto).
Prominente Schweiz-Reisende
Ob für parodistische Spässe allerlei Klischees bemüht werden oder für
realistische Handlungen stimmige Schweizer Schauplätze im Comic
erscheinen, die Schweiz ist weitherum in der Comic-Welt beliebt.
Als Schweiz-Reisende betätigt haben sich auch zahlreiche Comic-Prominente: Donald Duck, Tim
und Struppi, Micky Maus, Batman, Superman, Asterix und Obelix, Fix und Foxi und viele andere
sind schon mal in der Schweiz zu Besuch gewesen, ob für Ferien oder auf Dienstreise.
So fantasierte sich etwa der 1995 verstorbene italienische Comic-Alt-
meister Hugo Pratt – er lebte seit 1983 in Grandvaux über dem Genfersee – in seinem Album «Les
Helvètes» (1990) ein magisches Abenteuer mit seinem Helden Corto Maltese zusammen. Corto begibt
sich in den 1920er-Jahren auf die Suche nach den Spuren der Parzivalfigur Klingsor
und des Heiligen Grals und besucht dafür im Tessin Hermann Hesse.
Bevor er jedoch die fantastische Comic-Reise in der Schweiz beginnen lässt, erläutert der Autor
Hugo Pratt in einem 20-seitigen Vorspann in
Text und Bild historische und politische Zusammenhänge des Landes.
Beliebter Wilhelm Tell
Und nicht zu vergessen, Wilhelm Tell, der Freiheitsheld mit der Armbrust, der durch den
deutschen Schriftsteller Friedrich Schiller und sein Schauspiel von 1804 international bekannt
wurde: Unzählbar die Variationen, in denen der Mann aus Uri vor allem mit seiner
Apfelschuss-Szene zitiert und parodiert wird. Die Schweiz ist in der Welt der Comics beides:
Paradies und Hölle. Sie ist auf der einen Seite neutraler Ort der idyllischen
Ruhe, des Friedens, der sicheren Banken, der schönen Landschaften, und auf der anderen Seite
gefährlich als Hort von anonym agierenden Übeltätern, einschüchternd und beängstigend durch die
steilen Berge und Schluchten und durch die schrecklichen Volksbräuche: Dauerberieselung durch
Jodeln, anstrengender Fondue-Verzehr. So oder so, die Schweiz ist in der weiten Welt der
internationalen Comics ein Thema.
Text: Urs Hangartner (2005)
link: Pro Helvetia