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Aida - Opus Trash frei nach Verdi


Opernwelt morgen im Gespräch mit Herrn Patrik Huber

"Die eigenen Pyramiden im Kopf zerstören"


O.: Wie würden Sie, Herr Huber, Nichtoperngängern erklären, worum es bei AIDA geht?

P.H.: Bei der traditionellen AIDA geht es um Eifersucht, Macht, um Liebe, die man nicht bekommen kann, weil man versucht, sie festzuhalten oder zu erringen – was ja nicht funktioniert. In meiner AIDA geht es um dasselbe, nur – und das wird für manche irritierend sein – muss man seinen eigenen Fokus finden. Ich mache gern was auf einer Bühne, das das Bild verzerrt. Ich will irritieren – irritieren und nicht provozieren. Reine Provokation ist fad. Es wurde ja von unseren früheren Auftritten behauptet, dass sie provozieren. Das ist aber nicht mein Anspruch. Würde ich mich deshalb als großer Künstler fühlen, ginge ich einfach durchs Publikum und würde jeden abwatschen. Die Watschen geben sich die Leute selber, indem sie damit zurechtkommen oder nicht und indem sie werten.


© Christian Herzenberger
O.: Das heißt, Sie machen eine Klassiker-Interpretation auf sehr künstlerisch-persönliche und irritierende Weise. Warum irritierend?

P.H.: Es gibt kein Schema. Jeder muss sein eigenes Bild finden. Ich versuche, meine eigenen Pyramiden im Kopf zu zerstören und das nicht nur wegen AIDA. Man ist immer ans Visuelle gebunden. Man wird vom Visuellen geblendet und das entführt uns in Welten. In AIDA wird man aber nicht in eine Pyramide entführt, sondern dorthin, wo der rationale Nachvollzug sehr schwierig ist. Man muss sich auf seine eigene Intuition verlassen, etwas Eigenes finden. Jeder muss seinem eigenen Rätsel auf die Spur kommen oder so.

O.: Wie gehen Sie als Regisseur an einen der schwierigsten Stoffe, an eines der unspielbarsten Stücke der Operngeschichte heran?

P.H.: Es ist ja super, dass ich im Endeffekt mit Theater gar nichts am Hut habe. Ich nehme mir das und mache, was ich will – ganz einfach.

O.: Was reizt Sie dann grundsätzlich an Theater?


© Christian Herzenberger
P.H.: Das Publikum, die Plattform. In der Erlebnisgastronomie hat man es ja nicht ganz geschafft. Die lebt nur von bemalten Wänden. Manches Theater ist heute schon fast so wie Erlebnisgastronomie, es besteht nur noch aus einer bemalten Wand. Für mich ist Theater aber ein Versuch auszubrechen, eine Form zu zeigen, die überhaupt keine Form ist. Es ist für mich schwierig zu beschreiben. Transzendenz gibt es ja auch als Begriff, zeigen kann man es aber nicht. Transzendenz ist die schnellste Bewegung und Theater sollte vielleicht auch so sein, dass man durch die Schnelligkeit der Bewegung in den Zustand des Stillstandes kommt – aber eigentlich ist es der schnellste Stillstand.

O.: Welche musikalischen Qualitäten fordern Sie von Ihren Darstellern?

P.H.: Starke Durchschlagskraft.

O.: Was liegt Ihnen, Herr Huber, an Verdi?

P.H.: An Verdi... naja... an Verdi selbst liegt mir nicht viel, weil ich ihn auch nicht kenne, ich kenne jetzt nur ein bisserl AIDA. Er hat irgendwas mit Italien am Hut gehabt und Italien ist nicht so schlecht, weil da links und rechts Meer ist. Zur Adria und zur Riviera ist es nicht weit und darum glaube ich, ist Verdi auch ganz okay.

O.: Welche Rolle spielt Verdis berühmter Triumphmarsch "Gloria all'Egitto" in Ihrer Bearbeitung?

P.H.: Aha...äähh... ich muss ehrlich gestehen, ich habe mir den Soundtrack von Verdi nicht angehört. Der Triumphmarsch hat mich wahrscheinlich inspiriert, weil AIDA, so wie ich sie inszeniere, generell ein ziemlicher Triumphmarsch wird. Ich habe AIDA sozusagen ausgebaut. AIDA ist ja nicht immer so gut angekommen und würde Verdi heute leben, würde er von meiner AIDA sagen, dass da jetzt einer das geschafft hat, was er nicht schaffte. Also einen ganzen Triumphmarsch – quer durch alle Mauern durch.


© Christian Herzenberger
O.: Das heißt, Musiktheater wird in Linz wieder eine Rolle spielen?

P.H.: Ich weiß es nicht. Wenn man sagt, meine AIDA sei Musiktheater, wird wahrscheinlich die Diskussion um den Begriff neu ausbrechen. Mir sind solche Begriffe völlig Blunzen. Was soll ich damit anfangen? Das ist so belanglos. Jeder kann sich selbst aussuchen, in welche Schublade er das zuhause reintut. Mich interessiert nur, dass ich diesen Rahmen habe, eben das Theater, wo 200 Leute hinkommen, die sich was anschauen wollen. Da kann man dann experimentieren, denn die Leute werden etwas Bestimmtes im Kopf haben, wenn sie zu AIDA kommen. Da ist vorprogrammiert, dass man sie überraschen kann. Das kann man ja heute sonst kaum mehr. Man kann nur überraschen, wenn man sich selber überrascht, anders funktioniert es nicht.

O.: Braucht Linz dann noch das Neue Musiktheater?

P.H.: Wenn ich dort was machen darf, dann schon.

O.: Was bedeutet für Sie Werktreue?

P.H.: Werktreue ist für mich, wenn jemand zu mir sagen würde: "Mach mir dieses Stück, aber da hinten in der Zelle und Handschellen kriegst du auch noch." Ich kann damit nicht viel anfangen, für mich bedeutet es Fesselung und Einschränkung.


© Christian Herzenberger
O.: Wie aktuell ist Ihre AIDA? Wie heutig ist Ihre AIDA?

P.H.: Das weiß ich nicht. Wovon geht man da aus? Vom Text her ist sie wie gesagt immer aktuell. Wenn man sich auf ATV "Ich tausche Familie" ansieht, ist das schon AIDA. Darin geht es viel um Macht. Es werden Frauen innerhalb von Haushalten getauscht und ich kann der Neuen anschaffen, was sie tun soll. Das ist eine Egobestätigung. Durch die Demütigung des Anderen spürt man, dass man selber da ist.


© Christian Herzenberger
O.: Demnächst wird Schlingensief in Bayreuth den PARSIFAL inszenieren. Wenn Wolfgang Wagner Ihnen ein Angebot machen würde, in Bayreuth RHEINGOLD oder gleich den ganzen RING zu inszenieren, wie würden Sie reagieren?

P.H.: Ich kenne den RING nicht, klingt aber nicht schlecht. Da könnte man sicher irgendetwas machen. Es würde mich auf jeden Fall reizen. Es ist aber eine Geldfrage, ob die sich mich überhaupt leisten können.

O.: Das heißt, der Herr Huber hat den Sprung vom Entertainer zum Regisseur oder Theatermann gewagt?

P.H.: Nein, es ist kein Sprung. Sprung heißt entweder, man springt wo runter oder man springt wo hinauf. Bei Entertainer und Regisseur kann man aber so nicht werten. Ein Theaterregisseur ist nicht besser als ein Entertainer oder Dieter Bohlen.

O.: Herr Huber, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

Aus: Theater-Phönix Zeitung für dramatische Kultur, Nr. 154, März/April/Mai 2004