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Gottfried Helnwein

Interview, März 2006, Kunstmuseum Lentos, Linz



lin_c: „Wie wichtig waren Comics für deine künstlerische Entwicklung? Es gab ein Gespräch mit Dir und Carl Barks in dem Du sinngemäß meintest: "In Entenhausen lernte ich mehr als in allen Schulen bisher."

Gottfried Helnwein:
„Ich muß sagen, ich bin im Wien der Nachkriegszeit geboren und es war eine grauenhafte Stadt. Es war alles schwer und ich war entsetzt als kleines Kind. Eines wusste ich mit Sicherheit, dass ich da nicht hinwollte. Die Leute waren grantig, schiach, und es war einfach nicht zu übersehen, dass da gerade der 2. Weltkrieg zu Ende ging, und daß meine Vorfahren eine unglaubliche Verwüstung, einen Orgienschwachsinn hinter sich hatten. Das hat man gemerkt.

Und in diesem Wien in der Nachkriegszeit gabs eigentlich überhaupt keine Kunst für mich, es gab keine Bücher, keine Musik, es gab gar nichts. Die einzige Kunst die ich kannte, war die Kunst der Kirchen. Ich kann mich erinnern an die kalten Kirchen, da meine Familie sehr katholisch war, hab ich sehr viel Zeit in Kirchen verbracht, und ich war im Kindergarten bei den Nonnen, immer nur fest im Griff der katholischen Kirche. Und die einzige Kunst die ich gesehen habe, waren eigentlich die Folterbilder, die Ikonographie der katholischen Kirchen. Sehr faszinierend fand ich - haben mir auch schlaflose Nächste bereitet, diese Gefolterten und Durchbohrten... Sebastian, die heiligen Leichen, die Herzen aus denen Feuer kam und von sieben Schwertern durchbohrt waren... Und das war die einzige Art der Kunst die ich kannte.

Und dann kam der denkwürdige Augenblick, wo mein Vater vom Büro nach Hause kam und die ersten deutschsprachigen Mickey-Mouse Hefte von Kollegen geschenkt bekommen hat und vor mir auf dem Parkettboden geworfen hat. Als ich das erste Heft öffnete, und Entenhausner Boden betrat, hat sich mein Leben furchtbar verändert. Für mich war das so wie das erste Mal Farben zu sehen, in einem dreidimensionalen Raum, es war so wie aus einem schlechten Schwarz-Weiß Stummfilm in eine farbige, dynamische Welt zu treten. Obwohl ich damals noch nicht lesen konnte, mit 4 oder 5 Jahren , hab ich die Bilder lesen können und hab eigentlich eine völlig andere Geschichte daraus gemacht, das war für mich ein Schlüsselerlebnis in der Kunst.

Das hat mich völlig verändert und war eine so positive Gegenwelt zu der zweifellos beeindruckenden, bedrückenden katholischen Bildersprache. Vielleicht sind das die beiden Wurzeln meiner Arbeit. Für mich war lange Zeit, was bei uns nahezu häufig war, eine totale Ablehnung gegenüber unseren Vorfahren. Es gab glaub ich nie in der Geschichte so einen Bruch zwischen zwei Generationen wie unseren in der Nachkriegsgeneration in den 60-er Jahren mit unseren Eltern.

Also ich wollte mit der Generation, der Tradition, dem Land nichts zu tun haben. Und wir haben uns immer an Trivialkunstformen orientiert. An Rock & Roll, Elvis, den Stones, Comics, und Filmen. Ich habe es auch ganz konsequent abgelehnt, auch nur in die Nähe eines Museums zu gehen und mich mit traditioneller Kultur zu beschäftigen.

Und der Kunstunterricht hat das Übrige getan. Mir hat wirklich vor der Kunst gegraust. Da die Kunst auch eine Interaktion war: „Wann wurde dieser Flügelaltar geschnitzt? 1634. falsch..15hundert? .... - da hab ich gewusst, das ist nicht meine Welt.

Und die Comics waren einfach so wie der Film, so wie Rockn Roll, eine Kunst die sich direkt vermittelt hat, d.h. direkt in die Knochen gegangen ist, und man hat plöztlich sich selber erlebt. Sachen wurden angesprochen wo man nicht mal wusste, dass sie da sind - und deshalb halte ich diese Kunstformen für die wesentlichen Kunstformen ab dem 20. Jhd, auch die sogenannte Hochkunst hat ständig drauf reagiert. Ich glaube, daß Walt Disney einer der bedeutensten Künstler ist, der die größte Veränderung des 20. Jhd. vollbracht hat.

Außerdem hat Disney ja wie die Meister der Renaissance nach dem Werkstattprinzip gearbeitet, die Kunstschule in Los Angeles hat er gegründet, als er gemerkt hat dass niemand zeichnen kann. Und dann hat er einfach eine Kunstakademie gegründet, wo Leute Natur, Aktzeichnungen, Tiere zeichnen mussten, und diese Art von Kunst hat einen ganz wichtigen Einfluss auf mich und meine Generation gehabt. Auch Elfriede Jelinek zum Beispiel war sehr inspiriert, einer ihrer Wurzeln ist auch das Mickey-Mouse Heft, sie hat ein ganz schönes Essey darüber geschrieben, zu sehen auf ihrer Website.“